Hofmann, Dorothea
I stood still and was a tree…
für Akkordeon solo
Der Titel des Werks für Akkordeon (mit M III) entstammt dem Poem The Tree von Ezra Pound. Die Musik aus dem Jahr 2023 von Dorothea Hofmann wechselt zu Beginn vom Stillstand eines durch Sekunden umwobenen Liegetons in eine unscheinbare Kantilene. Tonalität findet statt, allerdings nicht in klassischer Manier, sondern eher frei fluktuierend. Quasi attacca wechselt das kurz danach ähnlich wiederkehrende, still liegende Geschehen in rhythmische Patterns von hämmernden Akkorden oder Einzeltönen.
Die Rhythmik der mit „agitato“ oder „unruhig, erregt“ überschriebenen schnellen Abschnitte hat etwas entfernt „Rockiges“, ohne sich bieder anzulehnen an manche Billigkeit populärer Musik. Für sympathische Verwirrung sorgen ungerade Taktarten und ständige Taktwechsel. Hier arbeitete schließlich eine kluge, anerkannte Komponistin. Das allerorten vorzufindende, etwas unorthodox verwendete Dur-Moll-Geschehen wird immer wieder durch integrierte Sekunden und durch Nichtbefolgung üblicher Auflösungsregeln seiner traditionellen Zwänge entkleidet. Die Partitur macht so insgesamt einen recht modernen, eher zeitgenössischen Eindruck.
Es ist sehr erfreulich, dass das Akkordeon im Schaffen auch bedeutender KomponistInnen mehr und mehr seinen Platz gefunden zu haben scheint. Ebenso erfreulich ist, dass Werke entstehen, die ein künstlerisches Format haben – und trotzdem schon von Jugendlichen oder Kindern ausgeführt werden können, wie im hier beschriebenen Beispiel.
Das Stück, das man mit schlichtem Blick wegen seiner begrenzten Anzahl an Tönen für Mittelstufenliteratur halten könnte, wird wahrscheinlich allzu leicht unterschätzt in Bezug auf die rhythmische Komplexität der flotteren Abschnitte.
Die Ausgabe im Verlag Dohr ist sauber bereitet, schön, interpretenfreundlich und gut blätterbar gesetzt. Lediglich ein offensichtlicher Fehler in der Taktbezeichnung ab Takt 41 trübt für drei Takte das ansonsten sehr gute Bild. Hilfreich wären Registeranweisungen gewesen. Insgesamt ist das etwa sechs bis sieben Minuten dauernde Werk eine Bereicherung des Repertoires in der Ausbildung, für ein Konzert oder einen Wettbewerb.
Dennoch darf es mindestens als fragwürdig, ja bedenklich gelten, einen faschistischen Wortkünstler wie Ezra Pound, wenn auch nur durch den Titel, zu Wort kommen zu lassen. Zusätzlich muss leider die zu simple Instrumentierung kritisiert werden, die das Akkordeon links nur tief und rechts nur hoch verwendet. So bleiben Klangdifferenziertheit und die vielen faszinierenden stereofonen Möglichkeiten des Einzeltonakkordeons auf der Strecke. Vielleicht sollte man Dorothea Hofmann mit der großen Schnittmenge an doppelt vorhandenen Tönen auf den beiden Manualen vertrauter machen für ein nächstes Opus, das die Szene gewiss begrüßt.
Gerhard Scherer