Heller, Barbara

Intervallbuch für Klavier

mit Spielanregungen für den Unterricht von Sigrid Naumann

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2006
erschienen in: üben & musizieren 2/2007 , Seite 65

Vier Jahre nach Erscheinen ihrer Quint-Spiele für Klavier legt Barbara Heller mit dem Intervallbuch eine weitere Sammlung mit Klavier-Miniaturen vor, in der sie der Idee folgt, kompositorisches Gerüst und musikalisches Potenzial allein aus einer Intervall-Charakteristik abzuleiten. Demzufolge liegt jedem der 31 Stücke als musikalischer Baustein jeweils ein Intervall zu Grunde, nacheinander werden alle Intervalle (pro Intervall vier bis fünf Stücke) von der Sekunde bis zur Oktave abgearbeitet, der Schwierigkeitsgrad steigt mit der Größe des Intervalls (die Hände der Spielenden können mitwachsen).
Die Intention der Komponistin, ihre Intervall-Erkundungen klavierpädagogisch nutzbar zu machen, führte – wie sie im Vorwort erläutert – in der Vorbereitungsphase zu einer intensiven Zusammenarbeit mit erfahrenen KlavierpädagogInnen. Sigrid Naumann wurde mit der Aufgabe betraut, die Intervall-Stücke mit Spielanregungen für den Unterricht zu versehen: Allein wegen dieser pädagogisch fundierten Tipps lohnt es, das Heft zu ordern. Hier findet man erhellende analytische Beobachtungen, sinnvolle Modelle zur Notentext-Erarbeitung, Ideen zur klangfarblichen und technischen Optimierung, handfeste Vorschläge für ein effektives Üben, aber auch fantasievolle Wegweiser zu einer improvisatorischen oder eigenschöpferischen Weiterführung der Stücke.
Die schüchterne Sekunde, das erste Stück des Intervallbuchs, erinnert sofort an György Kurtágs Klavierminiatur Zanken (in Játékok II) aus dem Jahr 1979. Vergleicht man beide Stücke, stellt sich heraus, dass das Déjà-vu-Erlebnis begründet ist: Heller hat die ersten sechs Tonhöhen von Kurtág exakt übernommen, bevor ihr Stückchen andere Wege geht.
Überhaupt taucht so manches aus dem klavierpädagogischen Repertoire auf: Zum Beispiel findet Helmut Lachenmanns Idee, den Rhythmus des Liedes Hänschen klein (in Ein Kinderspiel aus dem Jahr 1982) über eine Intervallstruktur zu legen, Verwendung in Hellers Rätsel, und aus der Ferne klingt Lachenmanns Filterschaukel in Die Sekunde taucht auf und verschwindet an.
In Fußnoten wird auf die entsprechenden Werke von Kurtág und Lachenmann als weiterführende Literatur verwiesen. Natürlich denkt man auch an Béla Bartóks (schon als „Klassiker“ etablierte) Intervall-Kompositionen aus dessen Mikrokosmos, insofern dort über sechs Bände eine kompositorisch progressive Werksammlung so angeordnet wurde, dass sie gleichzeitig klavierdidaktisch einsetzbar ist. Wahrscheinlich wird nach Barbara Hellers Intervallbuch der Griff zu Kurtág, Lachenmann und Bartók sehr verlocken.
Maria Zeidler-Kröll