Kissenbeck, Andreas
Jazz Theorie
Band I: Harmonik und Skalen, Band II: Improvisation mit Melodien und Voicings
Zur Jazztheorie gibt es bewährte Lehrbücher, die Informationen zu den grundlegenden Aspekten der Jazzharmonik bieten. Trotzdem hat Andreas Kissenbeck ein weiteres Werk vorgelegt, das auf seiner musikwissenschaftlichen Dissertation über Jazzharmonik und Jazzimprovisation basiert. Er hat ein Konzept entwickelt, mit dem sich ein praktischer Zugang zu allen gängigen Möglichkeiten der Jazzimprovisation gewinnen lässt. Damit geht er über andere Lehrbücher hinaus, in denen bekannte Jazzmusiker neben Grundlagen der Jazzharmonik vor allem konkrete Wege der Improvisation aufzeigen.
Dagegen möchte Andreas Kissenbeck einen Überblick über die Gesamtheit aller Improvisationsmöglichkeiten geben. Während es unendlich viele Wege gibt, um zu improvisieren, stellt sich das Gebiet, auf dem sich diese Wege befinden, als begrenzt und überschaubar dar.
Im ersten Band entwickelt er eine Art musikalisches Koordinatensystem. Bei der Darstellung der grundlegenden Zusammenhänge zwischen Akkorden und Skalen ist er sehr systematisch vorgegangen. Alles Wesentliche wird knapp und anschaulich dargestellt, die Erläuterungen sind gut verständlich. Die kleinschrittige Untergliederung mit zusätzlichen Stichworten am Rand des Textes steigert den Gebrauchswert des Buchs, da man das Gewünschte schnell finden kann. Die Texte sind verständlich und klar geschrieben, ergänzt um viele Zitate, Überblicke, Notenbeispiele und grafische Elemente.
Das Buch richtig sich an JazzmusikerInnen aller Spielniveaus, es scheint aber vor allem für fortgeschrittene Spieler sowie Lehrende geeignet zu sein. Als EinsteigerIn benötigt man neben dem Buch viele Hörerfahrungen sowie konkrete Übungen, die man am besten zusammen mit einem Lehrer oder einer Lehrerin erarbeitet.
Im zweiten Band geht es um die Frage: „Wie wird improvisiert?“ Dabei wird ein Grundwissen von Harmonik und Skalen vorausgesetzt. Im Mittelpunkt steht ein Modell zur Erschließung von Improvisationsmöglichkeiten, das Melodien und Voicings als Resultat der drei Faktoren Tongruppe, Anordnung/Permutation und Figuration auffasst. Mit diesem Modell lassen sich bestehende Improvisationen analysieren, was Kissenbeck an drei Beispielen aus Oldtime Jazz, Bebop und Modern Jazz überzeugend darlegt.
Das Modell eignet sich gleichermaßen zur Produktion von Melodien und Voicings. Dazu erläutert der Autor systematisch die praktische Vorgehensweise, die sich aus bestimmten Vorgaben ergibt, von Two Note Voicings bis Poly Chords. Abschließend stellt er spezielle Outside-Konzepte vor, mit denen überzeugende Klangresultate zu erzielen sind, wenn Melodien und Voicings der zugrunde liegenden Harmonik widersprechen. Ein bemerkenswertes Buch, das zur musikwissenschaftlichen Theoriebildung auf dem Gebiet des Jazz beiträgt und auch für die Jazzpraxis interessant sein dürfte.
Beate Forsbach