Schulte im Walde, Christoph
JeKi ist eine einmalige Chance
Gespräch mit Tabea Zimmermann über ihr Engagement bei „Jedem Kind ein Instrument“
„Jedem Kind ein Instrument“ – kurz: JeKi – macht seit geraumer Zeit in Nordrhein-Westfalen, aber auch darüber hinaus Furore. Zuletzt bereiteten sich rund 25000 Kinder auf das Abschlusskonzert des vergangenen Schuljahres vor. Neben viel Zustimmung erntet JeKi aber auch Kritik. Tabea Zimmermann, international gefragte Solistin auf der Bratsche, unterstützt das groß angelegte Projekt, stellt aber auch kritische Fragen.
Frau Zimmermann, wie kommen Sie an dieses Engagement bei JeKi?
Ganz einfach: weil JeKi in Bochum geboren worden ist – und ich in Bochum lebe. Manfred Grunenberg, der damals Musikschulleiter in Bochum war und jetzt als das Projekt leitender Direktor dem JeKi-Vorstand angehört, hatte mich ganz früh schon angesprochen, ob ich nicht in irgendeiner Weise helfen könnte. Da ging es wirklich noch um einen ganz kleinen Beitrag meinerseits und ein ganz kleines Projekt. Ich habe da gern zugesagt und mich eingebracht – ich war mir damals über die mögliche Ausweitung des Projekts überhaupt nicht im Klaren. Die Entwicklung, die JeKi dann ziemlich schnell genommen hat, konnte ich mitverfolgen. Aber intensiv mit dabei bin ich erst seit Mai 2008 im Kuratorium.
Die „Initialzündung“ haben Sie also mitbekommen?
Ja. Das war ganz konkret so: Die Bochumer Musikschule ging an die Bochumer Grundschulen. Das heißt: Ich erinnere mich, dass sozusagen das „Vorläufermodell“ an einer Bochumer Waldorfschule ins Leben gerufen worden ist mit dem Wunschgedanken, Kinder an die Musik zu bringen. Und dies in einem sehr überschaubaren Rahmen und nach dem Motto: „Lasst uns die Kinder mit Musik versorgen.“ Diesen ursprünglichen Gedanken fand ich gut!
Dann gab es ziemlich rasch einen Zeitpunkt, an dem das Projekt „auf die ganz große Schiene“ ging.
In der Tat: JeKi hat dann eine ziemliche Eigendynamik entwickelt. Aus den überschaubaren Anfängen wurde ein Projekt der nordrhein-westfälischen Landesregierung, wobei Staatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff ein entscheidender Motor war. Wesentlich vorangetrieben wurde JeKi aber auch durch die Kulturstiftung des Bundes und deren Direktorin Hortensia Völckers. Man war allerorten überrascht angesichts der neuen Möglichkeiten und des plötzlichen Geldsegens für dieses hervorragende Projekt.
Vielleicht noch einmal kurz zurück zu den Wurzeln von JeKi.
… Kinder mit Musik versorgen! Kinder zu musikalisieren! Das erste JeKi-Jahr, das finde ich super. Fantastisch, was da läuft, wie die Kinder begeistert werden von den beiden Lehrerinnen – es sind ja meist Lehrerinnen aus Grund- und Musikschule! Auch das Miteinander in den größeren Gruppen – das ist ähnlich wie musikalische Früherziehung, aber dann erweitert mit Experimenten und Klangerfahrungen, Rhythmussingen… Das ist schon wirklich faszinierend und für die Kinder toll. Und sie freuen sich alle, dass sie dann im nächsten Jahr auch ein Instrument lernen dürfen, möglichst das ihrer Wahl. Im Instrumentenkarussell werden ja im Schnellverfahren 15 Instrumente vorgestellt. Und da melde ich aber auch eine leise Kritik an: Müssen es wirklich so viele sein? Könnte man nicht eventuell mit weniger Instrumenten mehr erreichen? Und dann: Ziemlich kurzfristig muss von den Kindern eine Entscheidung getroffen werden. Diese Entscheidung ist dann bindend für die nachfolgenden JeKi-Jahre. Aber: Was machen wir mit Kindern, die im zweiten JeKi-Jahr sagen: „Geige ist doch nicht mein Ding“? Dafür gibt es zu wenig Modelle.
Keine Frage, dass JeKi ein zukunftsorientiertes Projekt ist. Und unter diesem Aspekt sind viele Lehrerinnen und Lehrer zu Mehrleistungen bereit. Unter ihnen gibt es eine Menge, die ganz begeistert bei der Sache sind – es gibt aber auch welche, die inhaltlich etwas ganz anderes machen würden… Erst kürzlich traf ich einen von mir sehr geschätzten Geigenlehrer, der mir sagte: „Wir wissen doch, dass die Kinder heute motorisch schlechter dran sind als vor zwanzig Jahren. Und wenn die im 2. Schuljahr mit einer Geige konfrontiert werden, überfordern wir sie. Warum singen wir nicht mehr, warum tanzen wir nicht mehr…?“ Das kann er nicht machen, weil in seinem JeKi-Kursprogramm etwas anderes vorgesehen ist. Und das ist ein Problem!
Ich habe allerdings am Anfang nicht verstanden, dass bei JeKi so sehr das Instrument im Vordergrund steht, so sehr im Programm ist, dass alles andere keinen Platz hat. Man könnte ja auch sagen: Wir wollen jedem Kind ein Instrument geben, aber wir wollen vor allem jedem Kind Musik zugänglich machen. Das wäre das primäre Anliegen. Danach möchte ich als Streicherin einem Kind doch erst einmal nahe bringen: Was ist das Prinzip Saite? Wodurch unterscheidet sich eine Saite von einer Taste? Eben dieses gerade Nicht-Hinlangen-können, sich erst eine Vorstellung vom Ton machen müssen – all diese Dinge kommen nicht genügend vor.
Man gewinnt den Eindruck, JeKi ist sehr rasch zu einer Massenbewegung geworden.
Wir sind zu schnell losgedampft, zu schnell zu groß geworden. Mir stellt sich die Frage, was man in der Masse überhaupt transportieren kann. Und wenn schon Masse, dann müsste man aus meiner ganz persönlichen Sicht den Mut haben, einen Schritt zurückzugehen und zu überlegen, wie schaffen wir es, Kinder, die heute auch in gebildeten Familien nicht mehr in Verbindung mit Musik kommen, überhaupt eine Freude an der Musik vermitteln zu können – um dann im zweiten Schritt eine gewisse kleine Kompetenz zu erlangen, mit Musik umzugehen. Aber sind dann nicht Singen und Tanzen und ein bisschen Instrument besser?
Weil Singen und Tanzen doch noch elementarer sind?
Ganz genau. Und das Instrument zu erlernen ist schwer, ein Streichinstrument allemal. Und eine Dreiviertelstunde im Klassenverband: Da kommt erfahrungsgemäß nicht besonders viel bei herum… Wir können auch die Kinder nicht ein halbes Jahr lang leere Saiten streichen lassen und ihnen das Gefühl geben, sie könnten Geige spielen.
Das würde falsche Vorstellungen transportieren…
Eben! Und ich finde es überhaupt schwierig, wie man das schaffen kann, junge Menschen weg vom Computer und nach ihren umfangreichen Hausaufgaben und allen möglichen Terminen noch dazu zu bringen, sich mit Musik zu beschäftigen, ohne ein Außenseiter zu werden, ohne ein Sonderling zu sein, der sich irgendwie in seinem Zimmer vergräbt.
Und da kommt die große Frage – und die stelle ich eben in verschiedenen Gremien von innen heraus: Was wollen wir eigentlich den Kindern mitgeben? Und da habe ich noch keine befriedigenden Antworten bekommen. Konkreter noch: Das Material, das ich bislang gesehen habe, ist so sehr auf den allerkleinsten gemeinsamen Nenner gebracht, dass die Kinder nach einem Jahr Instrumentalunterricht mit Mühe sechs Töne können…
Können Sie über Erfahrungen in Sachen Musikerziehung junger Menschen in anderen Ländern berichten?
Nein, ich muss ehrlich gestehen, dass ich erst jetzt anfange, mich da umzusehen. Da kann ich nicht so viel berichten. Ich habe in Israel an einem Projekt gearbeitet, das aus Mangel an geeigneten Lehrern gescheitert ist. Das ist bei JeKi schon anders. Und JeKi verfügt inzwischen auch über einen Beirat für das pädagogische Material, dem ich angehöre und der sich immer dann trifft und zusammensetzt, wenn Schriftliches zur Konzeption von JeKi vorliegt. Jetzt zum Beispiel sichten wir das Unterrichtsmaterial.
Ein Punkt ist auch das „Ensemble Kunterbunt“, das es bei JeKi geben soll. Wenn es gewünscht ist, dass eine Trompete mit einer Bratsche und einem Kontrabass zusammenspielt, dann müssen sie dasselbe Liedmaterial kennen. Das bedeutet aber, dass die Trompete nicht in B-Tonarten lernen darf, sondern sie muss jetzt auch in Kreuztonarten anfangen, damit sie auf den gleichen fünf Tönen „Ist ein Mann in den Brunnen gefallen“ spielen kann wie die Streicher!
Kann es sein, dass JeKi mitunter den zweiten Schritt vor dem ersten geht? Oder anders ausgedrückt: Wäre es nicht sinnvoller, zum Beispiel erst Bläser- und Streicherklassen zu formen – und dann die Instrumente zu mischen?
Ja, da gebe ich Ihnen recht. Es gibt wunderbare Beispiele, wo gerade damit gute Erfahrungen gemacht worden sind. Ich weiß von Musikschulen, die seit Jahren mit eben solchen Bläser- und Streicherklassen arbeiten. Da gibt es Stimmen, die sagen, ein Kind kann doch nur sein Instrument dann gut lernen, wenn es gleich klingende Instrumente um sich herum hat. – Aber diese Erkenntnis hat sich noch nicht ganz durchgesetzt.
Frau Zimmermann, ein ganz anderer Bereich, in dem Sie arbeiten, ist die Musikhochschule. Wie sieht es da aus im Hinblick auf den Nachwuchs?
Die Hanns-Eisler-Hochschule in Berlin, an der ich unterrichte, gilt ja als führende Stätte in der Streicherausbildung, keine Frage. Aber wenn man schaut, wo die jungen Bratscher heute herkommen, dann kommt aus Deutschland leider fast keiner mehr. Das ist sehr traurig. Aber man muss vielleicht mal fragen, warum das so ist. Und da muss ich ein klein wenig von mir selbst erzählen.
Ich komme ja aus einer Familie mit sechs Kindern. Unsere Eltern haben uns recht streng erzogen, mit einem Pflichtbewusstsein und einem Hang zur Disziplin – aber nur unter dieser Prämisse war das regelmäßige Üben und das Erlernen eines schwierigen Instruments eben möglich! Jetzt habe ich selbst drei Kinder, die durchaus begabt und musikalisch sind, die ich aber unter keinen Umständen einem ähnlichen Druck aussetzen möchte. Genau da haben wir aber auch das Problem unserer Zeit! Eines ist doch klar: Für schnell und für umsonst
ist nichts zu haben! Andererseits können wir aber auch nicht nur ein Halbwissen und ein Halbkönnen vermitteln… Und diese Gefahr sehe ich bei JeKi.
Dennoch habe ich selbstverständlich große Hoffnungen, dass sich am grundsätzlichen JeKi-Konzept noch etwas verbessern wird. Es gibt einige Bewegung im Inneren, ein sinnvolles Konzept für JeKi 2-4 zu entwickeln. JeKi ist eine einmalige Chance. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es diese noch ein zweites Mal geben wird.
Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 4/2009.