Bork, Magdalena
Jenseits von „gut“ und „böse“
Meisterlehre im 21. Jahrhundert – Erkenntnisse aus einer Wiener AbsolventInnen-Studie
“Traumberuf Musiker?” fragte Magdalena Bork AbsolventInnen der Wiener Musikuniversität. Die oft recht ernüchternden Antworten werfen grundsätzliche Fragen nach der Aktualität des Systems der Meisterlehre auf, wie es noch immer an den Musikhochschulen und Konservatorien vorherrschend ist.
Alles hängt eigentlich davon ab, welchem Lehrer man begegnet oder welchen Lehrer man sich wählt. Das ist dann der Weg, wie man im Konzertfach durch das Studium kommt. (Orchestermusikerin, 28, Cello)
Als ich vor einigen Jahren im Rahmen meiner Doktorarbeit an der Wiener Musikuniversität eine qualitative AbsolventInnen-Studie1 durchführte mit dem Ziel, vor allem den beruflichen Verbleib der ehemals Studierenden zu erforschen, war ich beinahe überwältigt von dem Ausmaß an wertvollem Material zum Thema Meisterlehre, das ich in den 40 Tiefeninterviews quasi nebenbei bekommen habe. Von den meist alles entscheidenden ersten Begegnungen mit Lehrerpersönlichkeiten in der Kindheit (meist Frauen) über die wesentliche Rolle der Förderung des eigenen musikalischen Talents durch engagierte Lehrende in der Jugendzeit (noch immer meist Frauen) bis zum intensivsten Teil der Ausbildung in der Meisterklasse eines anerkannten Musikers an einer Hochschule oder Universität (hier dann fast nur noch Männer!) schien stets die persönliche Beziehung zum jeweiligen Hauptfachlehrer eine zentrale Bedeutung zu haben: zentral für den Erwerb der tatsächlichen spielerisch-handwerklichen Fähigkeiten wie für die Ausbildung einer eigenen Identität als MusikerIn; zentral aber auch für den Einstieg in den professionellen Arbeitsmarkt nach dem Studium und vielfach auch noch für den später tatsächlich ausgeübten Beruf. Was so einflussreich ist, ist allemal wert, kritisch unter die Lupe genommen zu werden.
Meine Studie „Traumberuf Musiker?“ liefert zunächst Zeugnis über vierzig individuelle Ausbildungs- und Berufslaufbahnen von vierzig unterschiedlichen MusikerInnen, die eines gemeinsam haben: an der Wiener Musikuniversität in den Jahren 1992 bis 2005 ihren Abschluss im künstlerischen Instrumentalfach (damals Konzertfach) absolviert zu haben. Was aber an diesen vielen singulären Lebensgeschichten über den Weg vom Talent zur Meisterschaft und vom Studium in den Beruf für die Forschung besonders faszinierend ist, ist das, was sich in den Interviews über das Feld Musiker intersubjektiv mitgeteilt hat – also welche Glaubenssätze, Vorstellungen und Bilder hier vorherrschen.2 Aus diesen Analysen sollen einige Aspekte betrachtet werden, die Ausgangpunkt für eine Suche nach anderen, neuen pädagogischen Konzepten sein könnten.
Phänomen Meisterlehre
Im allgemeinen Sprachgebrauch steht der Begriff Meister für jemanden, der ein Fachgebiet in herausragender Weise beherrscht und für seine Verdienste anerkannt wird. In der Ausbildung von MusikerInnen hat der Begriff eine eigene Geschichte. Um das Phänomen Meister rankt sich die aus der Tradition stammende und bis heute das Lehrkonzept der Kunstuniversitäten prägende Meisterlehre. Denn auch wenn sich im Musikumfeld viel ändert, ist das Konzept der Meisterlehre über allen stürmischen Wandel erhaben: Das prägendste Moment in der Ausbildung eines Musikers oder einer Musikerin scheint auch noch am Beginn des 21. Jahrhunderts die Begegnung und die künstlerisch-fachliche Unterweisung durch einen Meister seines Fachs zu sein. Mit den veränderten Berufsrealitäten, den aufkommenden neuen pädagogischen Konzepten wie etwa Teamteaching, der Erforschung von Konzepten des Lehrens als Mentoring, aber auch der Forderung nach formaler Evaluation der Qualität im Einzelunterricht kommen auf die Meisterlehre jetzt zunehmend neue Herausforderungen zu. Es stellt sich die Frage, ob diese Form des Lehrens und Lernens noch die Effekte hat, die heutzutage von der höchsten Ausbildungsstufe der MusikerInnen erwartet werden.
Dieser Beitrag spannt den Bogen von einem kurzen Blick auf die historische Entstehung und Entwicklung der Meisterlehre bis in die Gegenwart3 über einige Aspekte aus der Studie „Traumberuf Musiker?“ bis zu einem kurzen Input aus meinem aktuellen Forschungsprojekt „Quo vadis, Teufelsgeiger?“, um von dort einen Blick nach vorne in die Zukunft der Meisterlehre zu werfen.
1 Magdalena Bork: Traumberuf Musiker? Herausforderungen an ein Leben für die Kunst, Mainz 2010; daraus das einleitende und die weiteren kursiv hervorgehobenen Zitate.
2 Es geht um so genannte Orientierungsmuster, die das milieuspezifische Wissen spiegeln. Orientierungsmuster sind insofern spannend herauszuarbeiten, weil sie in der Dokumentarischen Methode (Ralf Bohnsack 2003) als handlungsleitend gelten.
3 Genaueres dazu im Beitrag von Christoph Richter in diesem Heft.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 3/2012.