Kuck, Moritz
Klassenmusizieren als Unterrichtsprinzip
Eine qualitative Interviewstudie mit Schüler*innen
Moritz Kuck knüpft mit seiner Studie an eine breite Diskussion an, die vor allem seit den 2000er Jahren an Fahrt aufgenommen hat. Die Darstellung dieser Diskussion im ersten Teil kann als aufschlussreicher Abriss eines Aspekts der jüngeren musikdidaktischen Fachgeschichte besonders hervorgehoben werden. Kuck hat die „Schüler*innen-Perspektive auf Klassenmusizieren als Unterrichtsprinzip“ als Desiderat ausgemacht und möchte diese Lücke schließen. Er versteht unter dem Begriff „Unterrichtsprinzip“ einen punktuellen Einsatz von Klassenmusizieren im Musikunterricht neben anderen Unterrichtsmethoden und grenzt den Begriff von einem Unterricht ab, der ganz wesentlich auf Klassenmusizieren gründet, diese Unterrichtsform also regelmäßig vorsieht.
Die Studie ist eine qualitative Interviewstudie: Neun Schülerinnen und Schüler aus der 9. Klasse und verschiedener Oberstufenjahrgänge wurden befragt. Die Auswertung erfolgt gemäß der Forschungslogik der Grounded Theory Methodology. Die Dokumentation des Vorgehens gelingt dabei sehr detailreich und ausführlich, Kuck nennt sie selbst „kleinschrittig“. Jedenfalls wird die große Sorgfalt ersichtlich, mit der der Autor vorgegangen ist.
Als theoretischen Bezugsrahmen, der zur Deutung und Analyse der Interviews genutzt wird, verweist Kuck auf verschiedene Spielarten einer „Praxistheorie“ und knüpft vor allem an die Arbeiten der Soziologen Stefan Hirschauer, Thomas Alkemeyer und Nikolaus Buschmann an. Diese praxistheoretische Perspektive erweist sich als zielführend und passend: Es wird auf diesem Weg greifbar, inwieweit Klassenmusizieren als vorgegebene Unterrichtsmethode einerseits das Handeln aller Schülerinnen und Schüler vorstrukturiert und andererseits, welche individuellen Umgangsformen mit diesem Unterrichtssetting (noch) möglich erscheinen.
Als Ergebnis hält Kuck unter anderem fest, dass die Schülerinnen und Schüler Klassenmusizieren als Praxis überwiegend positiv bewerten. Diese wohlwollende Meinung beruht allerdings vor allem auf der stets mitlaufenden Unterscheidung dieser Unterrichtsform von allen anderen, in denen keine Praxis stattfindet. Diesem „Nichtmusikmachen“ stehen die Schülerinnen und Schüler eher ablehnend gegenüber. Die positive Einstellung zum Klassenmusizieren gründet damit wesentlich auf einer negativen Zuschreibung: Klassenmusizieren wird als „Nicht-Nichtmusikmachen“ geschätzt.
Dieses Ergebnis mag ernüchternd wirken. Und dieser Eindruck verstärkt sich stellenweise, etwa wenn Kuck darauf hinweist, dass „durch Klassenmusizieren gemachte (ästhetische) Erfahrungen […] für die Interviewten nur eine untergeordnete Rolle [spielen]“. Den Wert der Studie mindert das freilich nicht. Vielmehr kann Kuck seinen Anspruch einlösen und eine schon länger geführte Diskussion um eine wichtige Perspektive bereichern.
Matthias Goebel