Braun, Richard
Klavierland Korea
Ein persönlicher Blick auf die Musikausbildung in Südkorea
Koreanische Musikerinnen und Musiker gewinnen in großer Zahl internationale Wettbewerbe und sind weltweit in Orchestern und Opernhäusern präsent. Nicht zuletzt prägen sie auch das Erscheinungsbild deutscher Musikhochschulen. Woher kommen diese außergewöhnlichen Begabungen, diese gut ausgebildeten MusikerInnen?
Als 2023 der junge koreanische Pianist Yunchan Lim mit fulminantem Erfolg die Goldmedaille des Van Cliburn Wettbewerbs gewann, ging eine enorme Welle des Stolzes durch die koreanische Musikwelt. Nicht, dass koreanische PianistInnen nicht bereits zahlreiche wichtige Wettbewerbe gewonnen hätten; er war jedoch der Erste, der diesen Erfolg verbuchen konnte und seine Ausbildung ausschließlich in Korea absolviert hatte. Bislang führte der Weg in eine internationale Karriere immer über Amerika oder Europa. Dahinter steht die Überzeugung, westliche Musik sei quasi aus erster Hand am besten bei westlichen KünstlerInnen und Lehrkräften zu studieren. So leisten sich zahlreiche Universitäten in ihren Musikfakultäten einen oder mehrere „foreign professors“, die für diese spezielle Aufgabe im Mutterland Sorge tragen sollen.
Drei Jahre lang war ich einer dieser „foreign professors for piano“, und zwar an der Chung Ang University Seoul. Deren School of Music ist mit ca. 500 Studierenden etwa so groß wie eine Hochschule in Deutschland ohne Lehramtsstudiengänge und auch im Leistungsniveau in etwa vergleichbar. Im für Korea immer wichtigen Ranking liegt die Universität unter den koreanischen Top 10, gehört aber im Musikbereich nicht zur absoluten Spitze. Hier liegen vorne die Korea National University of Arts, die sich mit Julliard und Curtis auf Augenhöhe sieht, Yonsei- und Ewha-University sowie vor allem die Seoul National University.
Auch an diesen Universitäten habe ich als Gast unterrichtet. Sie präsentieren sich gern als Kaderschmiede – und das nicht zu Unrecht. Lehrkörper und Studierende sind auf sehr hohem Niveau, die Ausstattung ist hervorragend. Ein Abschluss an diesen Universitäten garantiert zwar keine internationale Karriere, hilft aber beim Einstieg vor allem in eine akademische Laufbahn. An der Chung Ang University Seoul war zur Zeit meiner Lehrtätigkeit die Leistungspyramide an der Basis etwas breiter; es konnten sich aber auch hier regelmäßig Studierende mit den großen Klavierkonzerten und dem Hochschulorchester im prestigeträchtigen Saal des Seoul Arts Center hören lassen.
Ich fand es interessant und wichtig, mit Studierenden zu arbeiten, die später eine tragende Rolle im breiten koreanischen Musikleben übernehmen und ein Leben rund um das Klavier in allen Facetten führen werden. Man darf nicht vergessen, dass die als Solisten weltweit gefeierten koreanischen Künstler zum Teil schon als Kind mit der Familie ins Ausland gegangen sind, um dort eine ganz auf eine große Karriere ausgerichtete Ausbildung zu bekommen.
Musik studieren in Korea
Das Bildungswesen in Korea ist nach US-amerikanischem Vorbild strukturiert. Die professionelle Musikausbildung (Instrumente, Gesang, Komposition, Instrumentalpädagogik etc.) findet an den Universitäten statt und ist eingebettet in deren Studienstruktur, gegliedert in College und Graduate School. Lediglich die Korea National University of Arts in Seoul ist eine Musik- und Kunsthochschule wie in Deutschland. Die Mehrzahl der Universitäten steht in privater Trägerschaft und finanziert sich durch Stiftungen, Sponsoren und Studiengebühren. Privat bedeutet allerdings keineswegs klein und elitär. Meine damalige Universität zählt derzeit knapp 40000 Studierende auf zwei großen Campusanlagen und gehört zum Portfolio eines großen Baukonzerns.
Das Bachelor-Studium dauert in der Regel vier Jahre und hat, zumindest was das Fach Klavier angeht, einen regen Zulauf. Meist gehen die Studierenden zunächst ohne klare Berufsvorstellung in das Studium. Nach dem Bachelor-Abschluss erfolgt in den wenigsten Fällen ein Master-Studium in Korea, vielmehr der Gang ins Ausland. Auch weniger reiche Eltern wenden enorme Summen für ein Auslandsstudium ihrer Kinder auf, zumal ein beruflicher Einstieg in einem Orchester oder an einer Universität bislang ohne dies kaum möglich ist. Sie tragen damit zur Finanzierung etwa der teuren Ausbildungsinstitute in den USA bei und stellen den Bestand der künstlerischen Ausbildung an den deutschen Musikhochschulen fürs erste sicher.
Ich höre allerdings, dass die Bereitschaft von Eltern zu einem Investment in das Musikstudium ihrer Kinder wie auch in den teuren Privatunterricht zur Vorbereitung auf die Eignungsprüfung abnimmt. Dahinter steht zweifellos der Wunsch, insbesondere dem männlichen Nachwuchs ein materiell befriedigendes Leben in einem solideren Beruf zu sichern. Dabei sind die Berufsperspektiven für AbsolventInnen eines Musikstudiums im noch immer expandierenden Musikleben Koreas nicht schlecht, wenn auch in den meisten Fällen keine Reichtümer damit erworben werden können. Neben dem an das internationale Musikbusiness angeschlossene Konzertwesen gibt es zahlreiche private Initiativen, die Veranstaltungen organisieren, vielfach auch mit zeitgenössischer Musik. Ich hatte während meines Aufenthalts Gelegenheit im Rahmen von Organisationen mit so fantasievollen Namen wie „Pianissimo“ oder „piano on“ aufzutreten, allesamt betrieben von sehr engagierten und kompetenten MusikerInnen, die ihr Können nicht brachliegen lassen wollen und im kulturellen Leben eine wichtige Rolle spielen.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 3/2024.