Loebenstein, Frieda

Klavierpädagogik

Revidierte Neuauflage der 2. und 3. Auflage von 1960 und 1974, hg. von Ludwig Striegel

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Burkhard Muth, Fernwald 2010
erschienen in: üben & musizieren 4/2011 , Seite 53

Frieda Loebenstein (1888-1968) ist Pionierin der Klavierpädagogik. Ihr Ansatz kann auch aus heutiger Sicht als innovativ angesehen werden: Mehrdimensionalität in den Zielen, Inhalten und Methoden der Vermittlung; ein Lernen und Lehren, welches multisensoriell, anschaulich und lebensnah angelegt ist, weil es auf einem sinnlichen und körperlichen Verständnis von Musik und Bewegung, vielfältigen Übe­methoden und der Vermittlung von Musik als interaktives Kommunikationsmedium sowie Fantasie im gestalterischen Umgang mit musikalischen Bausteinen basiert.
Loebensteins Klavierpädagogik ist auf mehreren Ebenen ganzheitlich ausgerichtet. Erstens wird Klavierpädagogik in den geistes- und kulturgeschichtlichen Kontext, in die Bestrebungen der Reformpädagogik und der allgemeinen Musikpädagogik eingebunden (Klavierpäda­go­gik im zeitgeschichtlichen Kon­text). Zweitens beruht Klavierunterricht auf einer umfassenden Grundlage musikalischer Bildung; vor allem Gehörbildung, Musiklehre, Elemente der Rhythmik und Improvisation sind in den Klavierunterricht integriert (fachliche Struktur der Klavierpädagogik). Drittens werden alle musikalischen Parameter immer in ihrem musikalischen Zusammenhang, ihrer Funktion und Wirkung gesehen (funktionales Denken, Hören und energetische Musikauffassung). Viertens erfahren Lernende einen handlungsorientierten Umgang mit Musik; emotionales Erleben und rationales Verstehen werden selbsttätig entwickelt (Lernen und Lehren im dynamischen Spiel­raum von Instruktion und Konst­ruktion sowie Kognition und Emotion).
Loebenstein ist nahezu vergessen. Ihre Klavierpädagogik wieder ins fachliche Bewusstsein zu rücken, ist in jedem Fall verdienstvoll. Dabei stellt sich allerdings die Frage einer angemessenen Präsentation der Schrift. Vielleicht würde schon ein Reprint genügen. Wenn man jedoch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Ansatz Loebensteins sucht, dann sollte an den Stand der Fachdiskussion angeknüpft, Literatur gesichtet, zentrale Begriffe geklärt, die didaktische Konzeption systematisch hinterfragt und in den geisteswissenschaftlichen Kontext eingeordnet werden, um die Geschichte der Klavierpädagogik in ihren Entwicklungen, Brüchen, Strömungen und Einflüssen transparent werden zu lassen. Es geht darum, durch wissenschaftlich fundierte Reflexion die Professionalisierung der Instrumentalpädagogik voranzutreiben. Dies leistet das Vorwort des Herausgebers Ludwig Striegel jedoch nicht und vergibt damit eine Chance.
Möge die revidierte Neuauflage des Buchs viele interessierte LeserInnen finden und letztendlich zu einer verstärkten wissenschaftlichen, künstlerischen und pädagogischen Auseinandersetzung mit dem umfassenden klavierdidaktischen Ansatz Loebensteins beitragen.
Silke Kruse-Weber