Schreker, Franz
Klavierstücke
Einer „Geschichte der Klaviermusik“ dürfte sein Name kaum eine Fußnote wert sein: Nachhaltige Spuren hat der 1878 geborene Franz Schreker mit Werken wie Der ferne Klang, Die Gezeichneten und Der Schatzgräber vor allem im Bereich des Musiktheaters hinterlassen. Die hier erstmals im Druck veröffentlichten Klavierstücke sind denn auch ausgesprochene Nebenarbeiten Schrekers und sämtlich in dessen Jugendjahren entstanden, was man an den Manuskripten sieht, die oft noch mit „Schrecker“ gezeichnet sind, einer Namensform, die der Komponist nach 1900 nicht mehr verwendete.
Schreker war von Haus aus kein Pianist, sondern in erster Linie Geiger. Das merkt man seinen wenigen überlieferten Kompositionen für das Tasteninstrument an: Sie sind nicht eigentlich pianistisch gehalten und gehen kaum über die Anforderungen hinaus, die auch begabte Amateure mitbringen. Das Virtuose und Brillante geht ihnen ab, wenn der Spieler sich auch einem weiträumigen und ‑griffigen Gesamtsatz gegenübersieht, in dem die orchestrale Dimension mitgedacht scheint.
Dem noch jugendlichen Alter entsprechend, in dem Schreker seine Klavierstücke verfasste, darf man keine übertriebenen Ansprüche in puncto Originalität stellen. Das Charakterstück des 19. Jahrhunderts bildet den geistigen Hintergrund und dient Schreker als Rahmen, um sich vor und während seiner Studienzeit bei Robert Fuchs am Wiener Konservatorium kompositorisches Rüstzeug zu erwerben. Züge dieses Ringens ums Handwerk und der Auseinandersetzung mit traditionellen Formkonzepten sind im Adagio in F nicht zu verkennen und auch nicht im wohl noch früher entstandenen, Appassionata betitelten Stück, das wie das Adagio seine kontrastierenden Themenwelten am Schluss in einer Coda zusammenzuführen bestrebt ist.
Der Klaviersatz orientiert sich in der Begleittechnik wie der gesamten Faktur an vertrauten Modellen, wobei insbesondere Robert Schumann Pate gestanden zu haben scheint, wenn Melodiezüge in den Mittelstimmen oder parallele Führungen in Oktaven erscheinen: ein als Melodie bezeichnetes Stück ist durchgängig in dieser Schreibweise entwickelt.
Auf den späteren Schreker weisen jedoch bereits einige Details hin. Einer nicht-funktionalen, Tonartbereiche wie Farbflächen nebeneinandersetzenden Harmonik begegnet man gelegentlich, die vorausweist auf Schrekers Idee, den „reinen Klang“ als musikdramatisches Mittel einzusetzen. Dazu zeigen sich Spuren eines Ausweichens aus der Dur-Moll-Tonalität, wenn der Komponist im ersten der beiden Walzerimpromptus lydische Tonleiterpassagen erklingen lässt. Diese beiden Walzerimpromptus sind mit Sicherheit die anspruchs- und gehaltvollsten Stücke des Bandes: ganz aus dem Geist des Wiener Walzers entstanden und mitreißend in ihrem Schwung und ihrer Eleganz.
Gerhard Dietel