Rademacher, Ulrich / Matthias Pannes
Klingende Lebensräume
Öffentliche Musikschulen im VdM als Schlüsselorte für Bildung mit Zukunft!
Eine richtige Musikschule ist und bleibt eine Schule – aber eine Schule anderer Art. Eine Musikschule ist ein auf Vollständigkeit angelegter Bildungsorganismus, der nicht zur musikalischen Bespaßungsstelle oder zur Vermittlungsagentur für Musikunterricht degeneriert. In der Politik ist man jedoch vor allem in Zeiten finanzieller Engpässe gerne geneigt, eine Quid-pro-quo-Diskussion über Aufgabe(n) und Struktur(en) öffentlicher Musikschulen zu führen, die am Kern der Sache vorbeigeht und damit leider auch manchmal zu Fehlbewertungen über die Notwendigkeit von Musikschulen in der Infrastruktur von Kommunen, zu Fehleinschätzungen über ihre erforderliche personelle und sächliche Ausstattung und zu Fehlentscheidungen über die Musikschulfinanzierung gelangt. Es erscheint daher in Abständen notwendig, das Profil der Anforderungen an die Einrichtung Musikschule wie auch an den Arbeitsplatz und die Kompetenz der Musikschullehrkräfte jeweils wieder neu zu beleuchten.
Das Credo, dass die Musikschule eine Schule ist und bleibt, aber eine Schule, zu der man kommen will, weil man darf und nicht muss, ist nicht nur das Credo von Reinhart von Gutzeit, der in seinem Eröffnungsvortrag beim Mainzer Musikschulkongress dies unter großer Zustimmung der politischen Repräsentanten noch einmal bzw. wieder einmal neu in Erinnerung rief.1 Dieses Credo manifestiert sich grundlegend auch in der „Verfassung“ der öffentlichen Musikschulen, dem Strukturplan für Mitgliedsschulen des Verbands deutscher Musikschulen (VdM). Es äußert sich natürlich auch in dem „Spirit“ von Musikschullehrkräften und -leitungen und nicht zuletzt auch in der Haltung des VdM als Fachverband der Träger öffentlicher, zumeist kommunaler Musikschulen.
Aufgabe der öffentlichen Musikschule ist es nach wie vor, mit der hohen Kompetenz und Kreativität ihrer Lehrkräfte durch attraktive Angebote zielgruppengerecht Schülerinnen und Schülern jeden Alters einen stimmigen musikalischen Bildungsweg zu eröffnen, zu ermöglichen und zu gewährleisten. Die damit verbundenen Erwartungen werden von den drei kommunalen Spitzenverbänden in ihrem 2010 verabschiedeten Positionspapier „Die Musikschule – Leitlinien und Hinweise“ formuliert.2 Diese Erwartungen beinhalten auch die soziale Zugänglichkeit durch geeignete Gebühren- bzw. Entgeltstaffelungen wie auch die Gewährleistung räumlicher Zugänglichkeit, getreu dem Motto „kurze Beine – kurze Wege“.
Begriff und Reichweite von „musikalischer Bildung“ gehen im Aufgabenportfolio öffentlicher Musikschulen weit über die Ebene hinaus, nur Musikerziehung zu betreiben, also lediglich Musikverständnis und die Fähigkeit zum aktiven Musizieren zu vermitteln. Musikalische Bildung ist hier im umfassenden Sinne gemeint, wie er vielleicht in folgenden Aspekten umschrieben werden kann: Kinder und Jugendliche – auch Erwachsene und Senioren – erfahren und entwickeln ihre Ausdrucks- und Gestaltungsfähigkeit mit Hilfe der individuellen Begleitung durch kompetente Lehrkräfte, aber eben gerade auch durch das abgestimmte Zusammenwirken dieser Lehrkräfte als Kollegium im System einer VdM-Musikschule in einzigartiger Weise. Die öffentliche Musikschule sieht sich der Leitvorstellung verpflichtet, dass erst solche umfassende Bildung die Identität einer Persönlichkeit ermöglichen und bewirken kann und damit wesentlich zum gelingenden Aufwachsen und zu einem erfüllten Leben beizutragen hilft.
Dabei kommt gerade der musikalischen Bildung das Privileg zu, sowohl im Bereich als auch hin zu einer Ausdrucks- und Gestaltungsfähigkeit bilden zu können, welche die Sinne und die emotionale Intelligenz – beim Erfassen musikalischer Strukturen, bei planvollem Üben und der Einordnung von Musik in ihren Kontext auch kognitive Intelligenz – in besonderem Maße anspricht und berührt. Bildungsprozesse werden in der Musikschule dialogisch-kommunikativ verstanden, sowohl mit Komponenten der Selbstentwicklung in der Auseinandersetzung mit Musik und Entfaltung im musizierenden Miteinander als auch im Kontext profunder pädagogischer Begleitung, mit klaren Zielen und Konzepten, mit hoher didaktischer und methodischer Kompetenz.
Res severa verum gaudium – die ernsthafte Befassung mit Musik als Kunst- und Ausdrucksform jedweder Stilistik (Mühen eingeschlossen) ist kein Gegensatz zur Freude an der musikalischen Betätigung, sondern im Gegenteil Anreiz und Motivation. Für jedes Niveau gilt: Die Lust, sich mit Musik auszudrücken, weckt den Wunsch nach einer Optimierung des Handwerks. Handwerk und Technik sind also kein Selbstzweck: Musikschule – weil Können Spaß macht! Auf jedem Niveau der Auseinandersetzung mit Musik kann das Individuum, kann die Gruppe positive Erfahrungen machen; ebenso ist von jeder erreichten Ebene sichtbar, welche musikalischen Dimensionen noch weiter erreicht werden können. Bestätigung und Neugier, die Freude über den Erfolg und das Wissen-Wollen, wie es weitergehen kann, die Erschließung der musikalischen Kartografie und die Entdeckungslust zu bisher unbekannten Räumen sind durch Schwingung und Balance in lebendiger Wechselwirkung und machen den Reiz der Beschäftigung mit der vornehmsten Kunst der Septem Artes Liberales aus.
1 s. Artikel von Reinhart von Gutzeit in dieser Ausgabe, S. 6-10.
2 „Die Musikschule – Leitlinien und Hinweise“, Deutscher Städtetag, Deutscher Landkreistag und Deutscher Städte- und Gemeindebund, 2010.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 4/2011.