Cvetko, Alexander / Constanze Rora (Hg.)

Konzertpädagogik

Musikpädagogik im Diskurs, Band 1

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Shaker, Aachen 2015
erschienen in: üben & musizieren 4/2016 , Seite 53

Nicht weniger als 17 erfrischend kurze, weitgehend erkenntnisreiche Beiträge versammelt der vorliegende Band zu einem stets aktuellen Thema, das auf der Tagung der Gesellschaft für Musikpädagogik im Februar 2014 an der Musikhochschule Trossingen verhandelt wurde und im Grunde so alt ist wie die Kulturform Konzert selbst. Dies legt ein Blick in die Geschichte des Konzerts ebenso nahe wie das Wirken Leonard Bernsteins, für den dirigieren, Konzerte gestalten und HörerInnen ansprechen „auf die eine oder andere Weise lehren“, so Hans-Joachim Erwe, bedeutete. Kurzum: Konzerte können erlebnis- und lehrreich zugleich sein, wenn man sie entsprechend adressiert, reflektiert und inszeniert.
Damit ist das Themenspektrum angedeutet: Auf vier „Historische Einblicke“ von 1800 bis heute folgt eine umfangreiche Gruppe von Beiträgen zu „Konzeptionellen Orientierungen/Problematisierungen“, woraufhin sechs kon­zertpädagogische „Projekte und Institutionen“ in Berlin, Hannover, Siegen, Hamburg, Waldkirchen und Trossingen vorgestellt und diskutiert werden. Dass die Fülle der Aspekte von einem Netz von Querverweisen und Schlüsselbegriffen wie Narrativität (Sto­rytelling in Rockkonzerten: Jan-Peter Koch) oder Erleben/Lernen/ Bildung, Musik und Bewegung (Elisabeth Gutjahr) durchzogen wird, macht eine besondere Qualität des Tagungsbandes aus, der nicht nur von Konzertpädagogik handelt, sondern selbst Kriterien einer gelungenen Konzertpädagogik genügt: organischer Aufbau, roter Faden, Vielfalt der Herangehensweisen, Lebendigkeit, Aktivierung des Hörers/Lesers etc.
So lädt bereits der erste Text von Katharina Schilling-Sandvoß zur „Konzertpädagogik aus historischer Perspektive“ zum Weiterlesen und -forschen ein. Dass sowohl um 1800 als auch um 1900 bei aller Zeitgebundenheit aktuelle Prinzipien von Kinderkonzerten wie sinnliches Erleben, „kulturelle Teilhabe“, Kommunikation und Selbsttätigkeit aufscheinen, ist eine wertvolle Einsicht, die zu vertiefen sich lohnt. Einige der hier genannten Namen und Ansätze tauchen im Aufsatz von Alexander Cvetko unter dem Gesichtspunkt „Geschichten erzählen als Methode in Schulkonzerten im frühen 20. Jahrhundert“ wieder auf, sodass sich die Beiträge schön ergänzen. Auf die jüngere Geschichte der Konzertpädagogik bzw. Musikvermittlung geht Lukas Bugiel ein, indem er die allen Vermittlungsbemühungen zugrunde liegende Annahme einer „Krise des Konzerts“ in 15 Texten zwischen 2001 und 2012 einer kritischen Diskursanalyse unterzieht, wirtschaftliche Interessen aufzeigt und nach der Notwendigkeit von „Musikvermittlung im Konzert“ fragt.
Antworten darauf geben Christoph Richters „Anregungen für erwachsene Laien, vielfältige und individuelle Beziehungen zwischen Menschen und Musik zu stiften und zu pflegen“, wobei Emotionen und existenzielle Erfahrungen eine zentrale Rolle spielen; die eindrücklichen Über­legungen von Constanze Rora zu einem offenen Begriff von Lernen als unverfügbare Erfahrung und dessen Realisierung in Leipziger „Taschenkonzerten“, die eine Verbindung von Lernen und Erleben (im Sinne „ästhetischer Schwellenerfahrungen“) ermöglichen; und Silke Schmids empirische Studie zum Musikerleben von Kindern, das an die Dimensionen Leiblichkeit (Vitalität), Narrativität (Ausdruckssinn), Beziehungshaftigkeit (Sozialität) und Materialität (Produktion) geknüpft ist und entsprechend konzertpädagogisch berücksichtigt werden sollte.
„Grundlage jeder Vermittlungsaktion ist ‚echter‘ Kontakt“ in sozialer Hör- und Handlungsgemeinschaft, emotionaler Erfahrung und verständiger Erkundung – sind damit nicht Wesensmerkmale von Musik genannt, die alle Aspekte und Möglichkeiten von Vermittlung in sich trägt? Dies und mehr jedenfalls vermittelt, bei aller Verschiedenheit des Kenntnisstands der einzelnen AutorInnen, der anregende, lebendige, facettenreiche Band, der nachdrücklich empfohlen sei.
Wolfgang Rüdiger