Grohé, Micaëla

(Ko)Operation gelungen – Lehrkraft tot

Zu Risiken und Nebenwirkungen von Kooperationen zwischen Schulen und außerschulischen Partnern

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 5/2015 , musikschule )) DIREKT, Seite 08

Idealfall

In vielen Rahmenlehrplänen steht die Emp­fehlung, mit außerschulischen Partnern zu kooperieren. Die Möglichkeiten sind zahlreich und die Lust bei engagierten (Musik-) Lehrerinnen ist groß. Wenn alles gut läuft, hält sich der Organisationsaufwand in Grenzen, weil sich die Protagonistinnen bereits kennen: Frau B trifft Frau A bei einer Veranstaltung, man kommt ins Gespräch, freut sich über die gleiche Wellenlänge, Brainstorming, Projektidee, Terminsondierung, einige Mails, Antrag bei der Schulleitung, Information der Fachkolleginnen (Unterrichtsausfall), der Schüler („Das wird ganz toll!“) und der Eltern („Wir bieten Ihren Kindern etwas Besonderes“). Wenn alles gut läuft, hat die Musiklehrerin bis dahin etwa zehn Stunden „unsichtbare“ Arbeit investiert und freut sich auf die Zusammenarbeit. Frau A arbeitet kompetent und erfolgreich mit der Klasse von Frau B, beide tauschen sich zwischendurch über den Arbeitsprozess aus, unterstützen sich. Die öffentliche Aufführung ist für alle ermutigend und eine große Bereicherung. Frau A und Frau B haben voneinander gelernt und die Kinder haben davon profitiert.

Worst Case

Wenn alles schlecht läuft, sind die bürokra­tischen Hürden dazu angetan, dass Frau B vor der Detailplanung alles hinzuschmeißen droht, weil das unlustbetonte Ausfüllen komplizierter Formulare für unbekannte Sachbearbeiter frustrierend ist und die Überzeugungsgespräche mit der Schul­leitung an deren Desinteresse scheitern. Wenn Frau B sich vorgenommen hat, sich über diese Schwierigkeiten hinwegzusetzen, weil man eben mit so etwas rechnen muss, nimmt sie Kontakt zum Koopera­tionspartner auf – sagen wir: einem Orchester. Sie bittet um den Besuch eines Profi-Musikers (in dieser Bezeichnung liegt schon ein Teil des Problems), der der Klasse etwas über sein Instrument, seinen Werdegang und seinen Berufsalltag erzählen soll. Ihr wird Herr C vermittelt, mit dem sie nach vielem Hin und Her einen Termin vereinbart. (Dass Frau B an der zeitlichen Einteilung des Schulvormittags nichts ändern kann, war nicht so leicht zu vermitteln.)
Herr C kommt zum vereinbarten Termin in die Schule, verirrt sich auf dem Weg zum Musikraum, macht eine säuerliche Bemerkung über den Lärm im Schulhaus, packt sein Horn aus und beginnt seinen Vortrag. Nach wenigen Sätzen wird Frau B klar, dass die Ausdrucksweise von Herrn C für ihre Schüler schwer verständlich ist. Es wäre unhöflich, ihren Kooperationspartner zu unterbrechen, um ihm zu sagen, er solle anders sprechen. Deshalb passt sie gut auf, damit sie der Klasse den Vortrag später in altersgerechter Form wiederholen kann. Nach einer Viertelstunde werden die Kinder unruhig. Frau B versucht mit Blicken und einigen Pschts die Disziplin aufrechtzuerhalten. Endlich greift Herr C zum Instrument! Er spielt den dritten Satz aus Hindemiths Hornsonate. Je länger er spielt, desto unruhiger wird die Klasse, weil die Schüler nichts mit dem Stück anfangen können.
Herr C bemerkt anscheinend nichts, er findet, dass die Schüler froh sein können, dass sie mal hochkarätige Musik und einen richtigen Musiker hören, statt sich wie sonst mit einer Art Verschnitt zufrieden geben zu müssen. Einen grenzwertigen Scherz über Lehrer versucht Frau B zu überhören, aber er wird noch tagelang in ihr rumoren. Für die Fragen der Schüler, die erleichtert aufatmen, weil sie sich wieder beteiligen dürfen, bleibt leider wenig Zeit.
An welchen Stellen Frau B solche Schwierigkeiten beim nächsten Anlauf vermeiden könnte, liegt auf der Hand: Sie kann im Vorfeld mit Herrn C über die Stücke sprechen, die er vorspielt, und diese im Unterricht vorbereiten. Sie kann auch versuchen, Herrn C auf das Alter, die Bedürfnisse und Interessen ihrer Schüler einzustimmen. Was ihr kaum gelingen dürfte: die Vorbehalte von Herrn C gegenüber Lehrerinnen im Allgemeinen und Schulmusikern im Besonderen aus dem Weg zu räumen.

Langfristige Kooperationen

Die häufigste Kooperation, meist über längere Zeiträume, ist die Kooperation zwischen (Grund-)Schule und Musikschule. Da diese oft von übergeordneten Stellen angebahnt werden, die hoffen, dass sich der Rest schon ergeben wird, entstehen manche Schwierigkeiten, die gutwilligen und kompetenten Lehrkräften die Arbeit erschweren (siehe Tabelle).

Was kann man tun, um diese Schwierigkeiten zu vermeiden? Zunächst liegt die Verantwortung bei den Schulleitungen, aber da diese nicht die Folgen ihrer mehr oder weniger verbindlichen Vereinbarungen ausbaden müssen, sind die Musikschullehrkräfte gut beraten, wenn sie ihr Schicksal an der Schule selbst in die Hand nehmen. In manchen Bundesländern werden langfristige Kooperationen durch offiziell eingesetzte Koordinatoren begleitet, die für beide Seiten Ansprechpartner sind. Wenn diese ihre Arbeit gut machen, gibt es zu Beginn ein Treffen, bei dem sich beide Seiten kennen lernen, sich über die ­Voraussetzungen und ihre Vorstellungen austauschen und Vereinbarungen treffen. Dies ist vor allem deshalb so wichtig, weil später unter Umständen die Akteure zu ganz verschiedenen Zeiten in der Schule arbeiten und kaum noch Zeit und Gelegenheit ist, sich zu verständigen. Wenn ein erstes Treffen nicht zustande kommt, empfehle ich, wenigstens einen telefonischen Kontakt herzustellen. Diese Telefonnummer kann auch später sehr nützlich sein, wenn es um Verhaltensauffälligkeiten einzelner Schüler oder Fragen der Raumausstattung geht.
Anders als an der Musikschule hat Musik als künstlerisches Fach an der Schule meist einen sehr niedrigen Status: schön, aber im Zweifelsfall verzichtbar. Schule ist ein hierarchisch strukturiertes System, in dem viele gewöhnt sind, sich mit Mängeln zu arrangieren, und jeder sehen muss, wie er zurechtkommt. Die daraus resultierenden Brüskierungen sollte man nicht persönlich nehmen, sondern z. B. antworten: „Ah, Sie machen das hier so! Das war mir nicht klar. Vielen Dank für den Hinweis.“*

Präventive Maßnahmen

Die zu Beginn getroffenen Vereinbarungen sollten schriftlich fixiert werden: Raumvergabe, Raumausstattung, Zeiten (auch: Öffnungszeiten der Schule), Gruppengröße und -zusammensetzung, Terminplan der Schule, Information über kurzfristige Änderungen, Schlüssel, Telefonnummern oder E-Mail-Adressen, Name und Telefonnummer des Hausmeisters, der Klassenleiterin oder der Musiklehrerin. An manchen Schulen ist die Sekretärin diejenige mit der größten Entscheidungsbefugnis. Wenn alles nichts nützt, kann man sich meist an die Reinigungskräfte wenden: Sie haben alle Schlüssel. Manche Menschen kann man gewinnen, wenn man sie zu einem Konzert einlädt, andere durch Smalltalk. Am wirkungsvollsten ist eine möglichst authentische Mischung aus Selbstbewusstsein und freundlicher Beharrlichkeit. Konjunktive sind kontraproduktiv!
Schulmusikerinnen können im Vorgespräch versuchen, etwas über die Gruppen­leitungskompetenzen ihres Kooperationspartners zu erfahren. In jedem Fall ist es gut, wenigstens zu Beginn eine Hospitation anzubieten oder etwas über die Schüler zu erzählen, die in der Gruppe oder Schule üblichen Regeln zu erläutern, Räume und Materialien zu zeigen und even­tuell ein Fach zur Verfügung zu stellen, wo die Musikschullehrkraft ihre Materialien deponieren kann.

* weitere Tipps in: Micaëla Grohé: Der Musiklehrer-Coach, Esslingen 2010.