Röbke, Peter

Kooperation oder Verdrängung?

Zum Verhältnis von EMP und schulischem ­Musikunterricht in der Primarstufe

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 4/2014 , Seite 06

Welches sind die Grundlagen der Kooperation von Regelschule und Musikschule im Primarbereich? Steht es wirklich so schlecht um den schu­lischen Musikunterricht, dass Musik­schullehrkräfte “Nothilfe” leisten müssen? Peter Röbke bricht eine Lanze für die Regel­schule und fordert, die jeweiligen Stärken der Koopera­tionspartner in den Blick zu nehmen.

Kooperationen, so sagen uns professionelle Organisa­tionsentwicklerInnen, funktionieren dann gut, wenn sich beide Seiten ihrer Stärken und Schwächen bewusst sind, diese in die Zusammenarbeit einbringen und Klarheit darüber herrscht, welcher Partner auf welchem Felde jeweils führt (weil er über die dafür nötige Stärke verfügt). Was nun unser Thema anbelangt: Es scheint, als würde es vor allem darum gehen, dass Musikschulen eine fachliche Schwäche der Regelschule kompensieren, sodass sich „Ko-Operation“ eher als Kompensation darstellen würde. Die mehr oder weniger ausgesprochene Botschaft lautet: „Seien wir doch ehrlich, wenn nicht die Musikschule den Musikunterricht der Grundschule faktisch übernimmt, dann gibt es dort eben keinen!“
So spricht etwa Ulrich Rademacher, der neue Bundesvorsitzende des Verbands deutscher Musikschulen (VdM), davon, dass Musikschulen – im Sinne einer kulturellen Daseinsvorsorge, die allen Kindern zusteht – in der Zusammenarbeit mit der Grundschule „Nothilfe“ leiste. Rademacher bekennt sich klar zu dieser Aufgabe: „Wir eröffnen neue Zugänge für alle oder für möglichst viele und gehen dabei oft bis oder über die Grenze der Überforderung. Wir verlagern dabei unsere Ressourcen immer mehr von der individuellen Förderung in Richtung neuer Zugänge und riskieren damit, die so erzeugte Nachfrage nach weiterführendem Unterricht nicht befriedigen zu können. Wir tun das aber trotzdem aus Überzeugung: um der Kinder willen, die nur einmal leben und die eben nur jetzt eine Chance haben, mit musikalischer Bildung in Kontakt zu kommen.“ Angesichts der Tatsache, dass diese „Nothilfe“ in ihrem Ausmaß an die Substanz dessen geht, was Musikschulen überhaupt zu leisten vermögen, wünscht sich Rademacher jedoch auch, dass dieses Einspringen und Ersetzen nicht von Dauer sein möge: „Für mich hat dieser Aspekt von Musikschulaufgabe aber nicht notwendigerweise Ewigkeitswert. Wenn die Länder die Musikschule einmal besser ausstatten werden, wenn die Schulmusik endlich wieder alle Kinder erreicht, dann könnte sich an den Musikschulen auch wieder mehr Spielraum für individuelle Förderung eröffnen.“2

Kooperationen – nur aus der Not geboren?

Die Sorge, dass sich Musikschulen übernehmen und ihre Ressourcen überdehnen, ist nur zu verständlich, und tatsächlich scheint es ja auch einige Evidenz dafür zu geben, dass es um die Musikpädagogik an der Grundschule nicht zum Besten steht – ich will gar nicht all jene Studien aufführen, die den Unterrichtsausfall oder das Ausmaß „fachfremder“ Unterrichtserteilung belegen; die geringe Zahl von Studierenden, die in deutschen Bundesländern eine Fakultas in Musik für die Grundschule erwerben, spricht ebenso Bände wie der geringe Anteil an Semesterwochenstunden (bzw. Credits) für musikalische und musikdidaktische Anteile in den Studienplänen Pädagogischer Hochschulen in Österreich, an denen ohnehin nur der Generalist oder die Generalistin für die gesamte Fächerbreite ausgebildet wird. Und hat nicht auch die Begleitforschung zu JeKi recht eindeutig den Nachweis erbracht, dass sich die Grundschullehrkräfte in der Kooperation darauf beschränken, die materiellen Ressourcen zur Verfügung zu stellen sowie Spielregeln für den Unterricht zu formulieren und über deren Einhaltung zu wachen? Drastisch formuliert: Die EMP-Lehrerin der Musikschule gestaltet den Unterricht, die Grundschullehrkraft agiert aus dem Hintergrund als Dompteuse.
Wenn also der Einsatz von EMP-Lehrerinnen der Musikschule an der Regelschule aus der Not geboren ist (von „Kooperation“ mag ich schon an dieser Stelle gar nicht mehr sprechen), dann wäre allenfalls zu überprüfen, ob Ziele, Inhalte und Methoden der EMP mit den Anforderungen der allgemein bildenden Schulen im Fachbereich übereinstimmen. Ein erster Blick auf Grundschullehrpläne einerseits und Musikschullehrpläne für EMP andererseits stimmt optimistisch: So formuliert etwa der geltende Musiklehrplan für die österreichische Volksschule (der Entsprechung zur deutschen Grundschule) die Aufgabe, „unter Berücksichtigung der akustisch-musika­lischen Umwelt und der besonderen Eigenart des einzelnen Kindes zum Singen, Musizieren, bewussten Hören, Bewegen zur Musik und zum kreativen musikalischen Gestalten zu führen“,3 und der EMP-Lehrplan der Kon­ferenz österreichischer Musikschulwerke „antwortet“, indem er die Aktionsbereiche Singen und Sprechen, Bewegung und Tanz, Sinneserfahrungen, Elementares Musizieren mit Instrumenten, Musik hören, Musiklehre und Instrumenteninformation detailliert ausführt.4

1 In diesem Text geht es um die EMP-bezogene Kooperation der ers­ten Schuljahre. Die Frage, wie dann der ­Instrumentalunterricht in Gestalt von Bläser- und Streicherklassen oder auch mit JeKi ins Spiel kommt, bleibt in diesem Text ausgespart.
2 Ulrich Rademacher in: neue musikzeitung 2/2014, S. 38.
3 www.bmukk.gv.at/medienpool/14050/vslpsiebenterteilmusikerzieh.pdf (Stand: 20.5.2014).
4 www.komu.at/lehrplan/instrument_emp.asp (Stand: 20.5.2014).

Lesen Sie weiter in Ausgabe 4/2014.