Schwabe, Matthias

„Lass es mich tun und ich verstehe“

Beispiele für erlebnisorientierte Musiktheorie

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 1/2015 , Seite 26

Kann Musiktheorie erlebnisorientiert sein? Sie kann nicht nur, sie muss! Wer theoretische Erklärungen vom musikalischen Erleben und eigenständigen Praktizieren abkoppelt, darf sich nicht wundern, wenn diese Erklärungen gleich wieder vergessen werden.

Schon der Name klingt staubtrocken: Musik-„theorie“. Aber ist das, worum es dabei geht, nicht vielmehr unsere „musikalische Grammatik“? Beim Erwerb unserer Muttersprache lernen wir Grammatik zunächst unbewusst, sowohl durch Hören als auch durch eigenständiges Formulieren. Die Bewusstmachung erfolgt erst Jahre später. Ich plädiere für eine analoge Vorgehensweise beim Musiklernen. Das bedeutet:
Im Vordergrund stehen das praktische Er­leben und die praktische Handhabung der „Sprache Musik“.
Dazu gehören das Lernen nach Gehör, das eigenständige Explorieren musikalischer Phänomene und das eigenständige „Formulieren“ im Sinne von musikalischem Erfinden, Letzteres am besten durch improvisatorisches Spiel.
Zunächst geht es um eine Verankerung im Unbewussten. Die Erklärungen können dann früher oder später – je nach Alter und Interesse – zur Vertiefung dienen.
Wenn die musiktheoretischen Erfahrungen eng an das eigene Musizieren und Musik­erfinden gebunden sind, dann ist Musiktheorie für die SchülerInnen kein unnötiges Wissen, sondern bietet ihnen die Chance, ihre Musizier- und Erfindungsmöglichkeiten zu erweitern.
Nachfolgend einige Praxisbeispiele, die ich aus Platzgründen auf die Bereiche Diatonik und Harmonik beschränke. Sie stammen aus dem Klavierunterricht, manche können für andere Instrumente angepasst werden. Es kann aber sinnvoll sein, auch im Unterricht für andere Instrumente das Klavier einzusetzen, um insbesondere harmonische Phänomene zu verstehen.

Melodien nach Gehör spielen – Orientierung im diatonischen Raum

Bekannte Melodien auf dem Instrument selbst herausfinden zu können, ist ein Triumph für InstrumentalschülerInnen. Ich gebe dabei (zunächst) den Anfangston so vor, dass wir im Bereich der weißen Tasten bleiben; das vereinfacht die Aufgabe. Dann helfe ich so viel wie nötig und so wenig wie möglich. Auf anderen Instrumenten sollte man das bereits erlernte Skalenmaterial verwenden. Das Üben einer Skala auf dem Cello kann sehr attraktiv werden, wenn ich damit nachher eigene Stücke herausfinden kann!
Geeignet sind Lieder, die wenige Sprünge enthalten, mit Motiv-Sequenzen arbeiten und einen klaren formalen Aufbau haben. Außerdem sollten die Kinder sie gut kennen, damit sie sich die Melodien innerlich vorstellen können. Sehr zu empfehlen sind Weihnachtslieder, zu anderen Jahreszeiten bevorzuge ich als Einstieg Bruder Jakob und Auf der Mauer, auf der Lauer. Besonders einfach: Ist ein Mann in’ Brunnen g’fallen.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 1/2015.