Méneret, Laurent

Le rêve de Julietta

4 progressive Stücke für 2 Gitarren

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott Frères, Brüssel 2014
erschienen in: üben & musizieren 4/2014 , Seite 55

Le rêve de Julietta ist ein viersätziger Zyklus für zwei Gitarren. Der Kopfsatz beschwört die Person Juliettas, „ein großes schlan­kes Mädchen“. Sie „hat ein Mischlingsgesicht mit feinen Zügen. Ihre langen braunen Haare mit den widerspenstigen Locken verleihen ihr einen fröhlichen, unbeschwerten Ausdruck. Sie lebt in einer kleinen Stadt in Südspanien.“ Wie immer man über Sinn und Zweck programma­tischer Begleitexte urteilen mag, hier wird ganz unzweideutig auf das musikalische Kolorit Südspaniens, den Flamenco, verwiesen. In ihm findet der instrumentaltechnische und kompositorische Autodidakt Méneret, Jahrgang 1963, seinen musikalischen Steinbruch, aus dem er seine Stücke schlägt.
Der erste Teil des Kopfsatzes, bestehend aus zwei variierten Viertaktern, basiert auf der Flamenco-Kadenz, der Akkordfolge a-G-F-E. Noch meidet er hier mit dem e-Moll-Dreiklang das leit­tönige gis, doch der zweite Teil, die Oberquarttransposition der vier Harmonien (d-C-B-A) zitiert das Harmonie-Klischee des Genres. In die Ausgangstonart führen die Wiederholungen der Akkorde B-A und G-F, mit angehängter Dominante E, zurück. Die Reprise des ersten Teils beschließt den Kopfsatz, leider nicht halbschlüssig auf E, wie es dem phrygischen Modus der Flamenco-Modelle entspräche, sondern mit dem angehängten oktavgedoppelten a.
Das Satzmodell ist auf allzu sche­matische und eintönige Weise in allen vier Sätzen des Zyklus gleich. Gitarre 2 hat den harmonischen Begleitsatz, Gitarre 1 setzt darüber die Melodie. Die Melodik baut nicht nur auf den Dreiklangsbestand der Harmonien, sondern folgt ihnen auch, ihre Motivik sequenzierend, in fallenden Sekundschritten. So wenig der harmonische Begleitsatz Oktav- und Quintparallelen zu meiden versteht, so wenig tut es die Melodiestimme in Bezug auf ihn.
Es ändert sich musikalisch nicht viel, wenn Julietta den Blick hebt und aus dem Fenster schaut, auf eine „mit hundert Jahre alten Bäumen gesäumte Allee“ (2. Ländliche Melodie). Fängt sie schließlich an zu träumen (3. Serenade, 4. Die Blumen), dann ergänzen Rumba- und Tango-Rhythmen das tönerne Einerlei. Mit derlei Belanglosigkeit kont­rastiert auffallend die editorische Präsentation, der gut lesbare und sorgfältig gearbeitete Satzspiegel der Edition Schott.
Schaut man am Ende, mit Auge und Ohr, was für eine die Julietta so ist, dann sieht man auf ein kleines, etwas hageres Mädchen, welches zögerlich verharrt, den Blick über das enge dörfliche Umfeld seiner südspanischen Heimat zu erheben.
Anton Förster