Sommer, Bernhard / Klaus Ernst / Jens Holzinger / Manuel Jandl / Dominik Scheider

Leitfaden Bläserklasse

Ein Konzept für das erfolgreiche Unterrichten mit Blasinstrumenten, Partituren und Lehrerband, mit CD-ROM und Online-Mate­ria­lien/Schülerhefte, Band 1

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Helbling, Innsbruck/Esslingen 2018
erschienen in: üben & musizieren 6/2018 , Seite 58

Bläserklassen wurden in den ver­gangenen Jahrzehnten vielerorts in den allgemeinbildenden Musikunterricht integriert, um trockener Kognitionslastigkeit zu entgehen und theoretische Inhal­te im Musizieren auf motivierende Weise erfahrbar zu machen. Instrumentalpraxis als zentraler oder gar einziger Unterrichtsgegenstand provoziert jedoch mitunter massive Kritik; allgemeinbildender Musikunterricht müsse vielfältige Umgangsweisen mit Musik – vom Spielen, Singen und Tanzen über das Komponieren und Improvisieren bis zum Hören und Reflektieren – berücksichtigen und könne nicht auf das Musikmachen reduziert werden.
An diesem Punkt setzen die Autoren mit ihrem Leitfaden Bläserklasse an, der „eine Verbindung der bewährten Unterrichtsform der Bläserklasse […] mit allen weiteren Themen des modernen Musikunterrichts“ ermögliche, so der Klappentext. Vor diesem Hintergrund hat das Autorenteam umfangreiches Material entwickelt: Schülerhefte, die Notenmaterial, theoretische Inhalte und Workbook-Passagen vereinen, werden durch Play-alongs und Übehilfen im Webplayer ergänzt; Lehrenden steht neben Lösungsheften zum Schülerband, einer CD-ROM mit zusätzlichem Notenmaterial, Arbeitsblättern, Themenseiten und Projektideen ein ausführlicher Lehrerband zur Verfügung. Dieser bietet zu jeder Lektion didaktisch-methodische Hinweise, optionale Aufgabenstellungen, Spielideen und Erweiterungen, Partituren und Klaviersätze zum Begleiten sowie eine kompakte Übersicht über Ziele, instrumentaltechnische Vo­raussetzungen und die Anknüpfung der aktuellen an vorangehende und folgende Inhalte.
Inhaltlich stehen drei Kompetenzbereiche im Fokus des Lehrwerks: Musik gestalten und erfinden, musikalische Strukturen verstehen und anwenden sowie Musik einordnen und reflektieren. Progressiv angelegte, vielfältig gestaltete, auch medial gestützte Einheiten zu den Bereichen Metrum/Takt/Rhythmus, Notenlehre/Intervalle/Tonleitern und Hörschulung ziehen sich konsequent durch alle Lektionen und werden durch Spielstücke, eine sinnvoll aufgebaute Methoden-Toolbox für deren eigenstän­dige Einstudierung sowie kreative und kulturerschließende Impulse ergänzt.
Die SchülerInnen sollen Stücke spielen und singen, ihren Charakter beschreiben, ihre Wirkung reflektieren, ihre Form untersuchen, Arrangements mit Originalkompositionen vergleichen, Informationen über Entstehungs­kontexte sammeln, eigene kreative Weiterführungen entwickeln etc. Das Spektrum der Inhalte und Kompetenzbereiche wird damit in Leitfaden Bläserklasse gegenüber etablierten Bläserklassen-Lehrwerken wie Yamahas Essential Elements deutlich erweitert.
Positiv hervorzuheben ist zudem, dass die curriculare Anbindung des Bläserklassenunterrichts nicht nur in Aussicht gestellt und dann an die ausführenden Lehrkräfte delegiert, sondern in zahlreichen Unterrichtsentwürfen auch kon­kret ausgearbeitet wird. Auch die Fülle an zusätzlichem Material wie etwa binnendifferenzierenden Alternativstimmen zu den Stücken ist für die Unterrichtspraxis eine wertvolle Ressource.
Das Lehrwerk geht idealerweise von zwei Stunden allgemeinbildendem Musikunterricht mit der Klasse bzw. dem Klassenorchester unter der Leitung der Musiklehrperson aus. Im zusätzlichen einstündigen Kleingruppenunterricht bei Instrumentallehrenden sollen die spieltechnischen Grundlagen erarbeitet werden, auf denen die jeweiligen Lektionen aufbauen.
Auffallend ist hier aus instrumentaldidaktischer Perspektive die zügige Progression: Nach der sukzessiven Einführung der ersten fünf Töne wird bald ein recht hoher instrumentaltechnischer Schwierigkeitsgrad erreicht, gegen Ende des ersten Bandes in manchen Stücken gepaart mit einigen weiteren Herausforderungen (z. B. hohe Lagen, viele Vorzeichen, komplexe Rhythmen, schnelle, schwierige Griffwechsel/-kombinationen). Gerade für den Gruppenunterricht erscheint dies ambitioniert – auch in Anbetracht der Fülle von Inhalten, die hier insgesamt vermittelt werden sollen.
Zumindest im ersten Band des Lehrwerks erscheinen zudem neben Eigenkompositionen der Autoren vor allem bekannte Werke der abendländischen Kunstmusik. Aktuelle Pop- und Filmmusik, die gerade für den Anfang motivierend sein können, oder auch Neue Musik, die z. B. mit in­determinierten Werkkonzepten Potenziale für voraussetzungsoffenes Musizieren eröffnet, kommen im vergleichsweise deutlich reduzierten Fundus an Stücken nicht oder nur punktuell vor.
Insgesamt bietet Leitfaden Bläserklasse umfangreiches, inhaltlich dichtes Material mit vielen schlüssigen Ideen und interessanten Impulsen zur curricularen Anbindung von Bläserklassen, zeigt aber auch die Komplexität des Anliegens, Ansprüchen des allgemeinbildenden Musikunterrichts und des Instrumentallernens gleichermaßen gerecht zu werden.
Carmen Heß