Zgraja, Krzysztof
Les ombres du vent
Der Schatten des Windes für Flöte
Nähme man den Titel der vorliegenden Komposition wörtlich und übersetzte mit „Windschatten“, so assoziierte man Ruhe, wenn nicht gar Stille. Mit Der Schatten des Windes oder vielleicht noch treffender Die Schatten des Windes eröffnet sich eine erheblich breitere Palette der Klangdifferenzierungen, die der Komponist auch folgerichtig in denkbar artifizieller Art und Weise ausreizt: Der 1950 in Gliwice/Polen geborene Flötist und Komponist Krzysztof Zgraja lässt auf kleinem Raum ein neo-impressionistisches Klangwunder entstehen. In seiner Hinwendung an den Interpreten oder die Interpretin liegt das Stück einerseits gut in der Hand, andererseits bedarf es – jenseits schneller Spielbarkeit – des Einsatz des Spezialisten.
So sollten FlötistInnen, die sich an dieses wirkungsvolle Konzertstück wagen, im Bereich der Neuen Musik erfahren, um nicht zu sagen spezialisiert sein; sind sie es nicht, tun sie gut daran, sich zunächst ein profundes Repertoire an neuen Spieltechniken anzueignen, bevor sie sich in die komplexe Materie eindenken. Zgraja verlangt neben der routinierten Beherrschung der ausgefeilten klassischen Spieltechnik mit großem Tonvorrat bis in die vierte Oktave Praktiken wie z. B. Whistle Tones oder perkussive Klappengeräusche, Multiphonics oder Singen und Spielen. Dass er eine Zeichenlegende in der vorliegenden Ausgabe schuldig bleibt, ist für den Neujünger der virtuosen zeitgenössischen Flötenliteratur schade, für den erfahrenen verschmerzbar.
Die Komposition ist in charakterlich sehr verschiedene Komplexe gegliedert; sie beginnt mit einer geräuschhaften musikalischen Keimzelle, aus der sich nach und nach größere Klanggebilde entwickeln, die jedoch in sich geschlossen werden, um jeweils einem neuen Grundgedanken zu weichen. Zgraja entwickelt sein motivisch einfach strukturiertes Material gleichsam improvisatorisch, spielt mit traditionellen Kompositionstechniken ebenso wie mit musikantischen Zwischenpartien, jazzigen Rhythmen wie impressionistischen Skalen und setzt gegen die Spielfiguren klanglich aufregend neue Impulse quasi als Kontrapunkt.
Hier ist man nicht nur als MusikerIn, sondern auch als DarstellerIn gefordert und sollte seine Interpretation gekonnt inszenieren. Gelingt dies, so findet man hier ein wirkungsvolles und musikantisches Konzertstück.
Christina Humenberger