Mendelssohn Bartholdy, Felix

Lieder ohne Worte

Zehn Stücke für Klarinette (in A, B) und Klavier, bearb. von Andreas Ottensamer

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Universal Edition, Wien 2022
erschienen in: üben & musizieren 6/2022 , Seite 64

Aufblühende Melodiebögen liegen nicht unbedingt in der Natur der Tasteninstrumente. Überlässt man diese wie in der vorliegenden Bearbeitung der Lieder ohne Worte einem Blasinstrument, können die lyrischen Charakterstücke Mendelssohn Bartholdys zusätzliche Ausdrucksqualitäten gewinnen. Mendelssohn selbst hat in verschiedenen Orchesterwerken der Klarinette charakteristische Solostellen gewidmet. In seiner frühen Klarinettensonate war er noch auf der Suche nach dem Wesen des Instruments, während er die virtuose Seite des Instruments in Verbindung mit seinem tieferen Familienmitglied, dem Bassetthorn, in den beiden klavierbegleiteten Konzertstücken op. 113 und 114 hervorkehrte.
Die zehn von Andreas Ottensamer instrumentengerecht ausgewählten Lieder ohne Worte aus den 48 vorliegenden Klavier-Kompositionen aus verschiedenen Schaffensperioden – 1835, 1844/ 45, posthum herausgegeben –zeigen die kompositorische und ausdrucksmäßige Vielfalt dieser romantischen Form. Die Originaltonarten werden beibehalten, was dazu führt, dass acht Stücke die A-Klarinette erfordern. Das Bearbeitungsverfahren ist recht einfach: Aus dem Klaviersatz wird fast ausschließlich die Oberstimme auf die Klarinette übertragen und der Klavierpart um diese Stimme reduziert. Nur selten kommt es zu einem Wechselspiel, wenn sinnvolle Pausen für die Klarinette gesetzt werden. Somit bleibt die Subs­tanz der originalen Klavierstücke unangetastet.
Die Auswahl vereinigt Stücke mit unterschiedlichen Gestaltungsanforderungen: drängende Ausdrucksintensität Agitato con fuoco erfordert op. 30 Nr. 4, das Venetianische Gondellied op. 30 Nr. 6 gewinnt seinen Charakter neben der rhythmisch gleichmäßig schwingenden Klavierbegleitung durch schwerelose Läufe bis ins höchste Register, aber auch durch kraftvolle Akzentuierungen. Das den Beinamen Frühlingslied tragende op. 62 Nr. 6 verlangt am Ende – strikt dem Original folgend – einen bis zum Spitzenton c4 aufsteigenden C-Dur-Dreiklang im Pianissimo. Durch eine Oktavierung nach unten im Klavier und der Klarinette lässt sich diese Stelle problemlos entschärfen. Nicht überzeugend ist in diesem Stück auch die Auslassung von Zieltönen bei Klavierarpeggien.
Weniger fordernd sind die schlichter gehaltenen op. 67 Nr. 3 und 5 sowie das Andante sostenuto op. 85 Nr. 4. Eng verwoben durch Parallelführung sind Klarinette und Klavier in dem kurzen Allegro agitato von op. 85 Nr. 2. Dagegen tritt das Klavier in op. 85 Nr. 6 wieder in den Hintergrund. Mit dem schwermütigen op. 102 Nr. 1 schließt die Auswahl, die SchülerInnen ab der Mittelstufe ein Eintauchen in die romantische Musik ermöglicht, sofern sie bereits eine A-Klarinette zur Verfügung haben und einen versierten Klavierpartner, da das Klavier ein wesentlicher Träger des Gehalts der Lieder ohne Worte ist.
Heribert Haase