Terhag, Jürgen / Jörn Kalle Winter

Live-Arrangement

Vom Pattern zur Performance, mit DVD

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2011
erschienen in: üben & musizieren 3/2012 , Seite 52

Wohl jede Musiklehrkraft kennt die Situation: Ein Song, eine Melodie, eine Harmoniefolge soll im Unterricht musiziert werden, die vorhandene Besetzung aber ist kunterbunt und das spieltechnische Niveau der SchülerInnen reicht von der fortgeschrittenen Instrumentalistin bis zum Notenunkundigen. Kreativität, tonsetzerische Fantasie und Motivationsfähigkeit sind gefragt. Das Buch der Kölner Musikpädagogen Terhag und Winter liefert keine fertigen Arrangement-Rezepte, sondern wandelt die Situation in ein musikpraktisch orientiertes Unterrichtsprinzip um und stellt dieses in einen größeren musikpädagogischen, stilkundlichen und unterrichtspraktischen Rahmen.
Der Weg zur musikalischen Realisierung eines Arrangements führt dabei grundsätzlich über das improvisierende gemeinsame Erarbeiten. Von kleinen Patterns ausgehend wird unter aktiver Beteilung der ganzen Gruppe ein Gesamtarrangement entwickelt. Von der Leitungsperson wird dabei einiges verlangt: unter anderem Stilkenntnis, Fähigkeit zur Elementarisierung von musikalischem Material, Motivationsfähigkeit und nicht zuletzt elementare Spielfähigkeiten auf verschiedenen Instrumenten.
Die Autoren benennen selbst das Problem einer solchen Veröffentlichung: dem Leser eine spontane, notenfreie Entwicklung von Musiziermodellen am Beispiel von schriftlich fixierten Notentexten und Verlaufsplanungen zu demonstrieren. Das Buch wird daher durch eine Video-DVD ergänzt, die Mitschnitte aus der Kursarbeit mit Erwachsenen und Schülergruppen enthält und anschaulich und authentisch die Methoden illust­riert. Auffällig ist dabei die stark lehrerzentrierte Arbeitsweise.
Das Buch liefert eine eindrucksvolle Material- und Informationsfülle. Das Band-Instrumentarium für die elementare Musizierpraxis – Bass, Bodypercussion, Gesang, Drumset, Keyboards, Gitarre und Klavier – wird mit typischen Einsatzformen, Hinweisen zur elementaren Spielpraxis und kleinen Patterns in Notenbeispielen beschrieben. Ein eigenes Kapitel ist der Chorarbeit gewidmet. Im Kapitel „Stilistik“ werden die im Buch behandelten gängigen Stile bzw. Grooves aus dem Latin-/Pop-/Funk-Bereich beschrieben und mit kleinen notierten Partiturbeispielen musikalisch konkretisiert.
Bei einem pädagogisch so durchkonzipierten Ansatz kann ein Einwand nicht ausbleiben: Die musikalischen Ergebnisse der Notenbeispiele und vor allem der Videos sind „klinisch saubere“ Stilbeispiele ohne das „Eigentliche“ der Popmusik; man vermisst vergleichende Originalbeispiele aus dem behandelten Stilkreis. Die Stärken des Buchs aber – seine Kombination aus professioneller moderner Musikdidaktik, Sach- und Stilkenntnis und Praxisorientierung – überwiegen und machen es unbedingt empfehlenswert für Musiklehrer, die nach neuen Ideen Ausschau halten und gleichzeitig ihre Musikpraxis in einen sinnvollen pädagogischen Gesamtrahmen stellen wollen.
Christoph Hempel