Thielemann, Kristin

Lustiges Glucksen

Die Klavier-App „Simply Piano“ im Selbsttest

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 6/2019 , musikschule )) DIREKT, Seite 05

Wer möchte nicht Klavier spielen können? Meine (nicht repräsentative) Umfrage auf einem Schulhof ergab: Mehr als jeder zweite Schüler hat bereits Erfahrungen mit Klavier-Apps gesammelt. Und ich erhielt auch sogleich diverse App-Empfehlungen – unter anderem „Simply Piano“. Also beschloss ich, den Selbsttest zu wagen.

Nach eigenen Angaben genießt die App das Vertrauen von Millionen KlavierschülerInnen und -lehrkräften. Das will nichts heißen, denn dieses Vertrauen genießt Face­book auch – und hat mindestens ebenso viele Kritiker. Apropos Facebook: Wer gewillt ist, Simply Piano Zugriff auf einige seiner Facebook-Daten zu gewähren, kann sich ganz praktisch und schnell mit nur einem Klick anmelden. Nach erfolgreicher Anmeldung lau­tet die erste Frage an mich: „Hast du ein Klavier?“ Und was, wenn ich nun auf „Nein“ klicke? Dann bekomme ich eine kurze „Touch-Einführung“ und werde darauf hingewiesen, dass es keine bessere Art zu lernen gibt als mit einem echten Klavier. Punkt für Simply Piano!
Sogleich wird das Angebot einer sieben­tägigen kostenlosen Testversion eingeblendet, das sich anschließend automatisch in ein nicht mehr ganz so billiges Jahresabo verwandelt. Ob es seinen Preis wert ist?! In diesem Abonnement stehen Hunderte von Songs bereit, die mich inspirieren wollen, so wird mir mitgeteilt. Ich kann es kaum erwarten! Zudem besteht die Möglichkeit, über 25 Klavierkurse freizuschalten und dort „grundlegende Fähigkeiten“ zu erlernen – sogar Notenlesen für das „echte Leben“, so wird versprochen.
Ich muss gestehen, dass es mir diebische Freude bereitet, die dargebotene Version von An der schönen blauen Donau mit nur zwei Tönen zu bereichern, die auf einem Laufband-Film an mir vorbeiflimmern. Auf eine Erklärung der dargestellten Pausen wird in der Touch-Einführung allerdings verzichtet. Trotzdem erschließt sich vieles durch die mitlaufende blaue Markierung von selbst.
Nachdem mir auch noch ein dritter Ton vorgestellt wurde, kann ich immerhin schon bei Say something mitspielen. Falsche Taste getroffen? Dann leuchtet diese rot und die App gluckst lustig vor sich hin. Meine großzügig eingebauten Rhythmusfehler überhört sie zumindest in der Touch-Einführung noch geflissentlich. Nach weniger als 15 Minuten kann ich bereits bei der Drei-Ton-Fassung von She is the one auf der Bildschirmklaviatur mitklimpern. Oh­ne Frage bin ich motiviert – aber vor allem dazu, mir diese Musiktitel zu merken und selbst im Anfängerunterricht zu verwenden.
Sobald ich bei der Gratis-Testversion versuche, den Kurs zu wechseln und auf „Taste of Bach“ oder „Pop Chords“ umzuschalten, muss ich leider meine Kreditkartennummer bereithalten. Zum Glück gibt es im Jahresabo die Testwoche, während der ich noch kündigen kann. Innerhalb von Sekunden bin ich ohne Schwierigkeiten zum Member geworden. Solange die Back­groundmusik läuft, Justin Biber, Imagine Dragons, Alan Walker und Kollegen singen, wirkt das eigene Geklimper geradezu hitverdächtig. Leider ist der Wow-Effekt aber sofort verloren, sobald man die Lieder ohne das Play-along versucht.
Im Abonnement können sich SpielerInnen nach Leistungsstand geordnet an Pop- oder Filmmusikhits versuchen. Auch finden sich bunt verstreut immer wieder Evergreens der Klassischen Musik. Und wo wir gerade beim Thema Klassik sind: Es ist sicher absolut legitim, sinnvolle Vereinfachungen zu finden, um Lernenden auch die großen Stücke der Musikgeschichte zugänglich zu machen. Warum jedoch ein Bach-Menuett oder Auszüge aus Beethovens Bagatelle Für Elise unbedingt eine Schlagzeugbegleitung brauchen, will sich mir nicht erschließen.
Nachdem ich den mit seichter Bandbegleitung unterlegten Song Luft auf der G-Saite (vielleicht ahnen Sie, um welches Stück eines großen deutschen Komponisten der Barockzeit es sich hierbei handelt) abgeschlossen habe und mir Simply Piano unter Verwendung seiner motivierend-poppigen Belohnungsmelodie mein Resultat verkündet (136 von 153 Noten, 71 % Timing bei 100-prozentiger Unterstützung der App = knapp drei Sterne), beende ich die Testphase, um nicht in den Genuss des Jahresabos zu kommen.
Fazit: Für manche kann die Touch-Einführung ein witziger Einstieg ins Klavierspielen sein. Die in der App enthaltenen Musikstücke sind eine Auswahl dessen, was viele angehende KlavierspielerInnen gerne einmal musizieren würden und können Lehrkräften als Anregung dienen. Ein brauchbarer Klavierunterricht, bei dem SchülerInnen das Instrument beherrschen lernen, eine saubere Technik aufbauen, Artikulationsarten, Dynamik und musikalisches Spiel kennenlernen, kann Simply Piano aber (noch) nicht bieten. Möglicherweise schafft es die App aber, Lernenden im Motivationstief als Überbrückung zu dienen oder neue Ideen zu vermitteln, welche Stücke sie in Zukunft einmal wirklich beherrschen möchten.