Behschnitt, Rüdiger

Man zeichnet sich immer selbst

Im Gespräch mit Jörg Hilbert, dem Erfinder von Ritter Rost

Rubrik: Gespräch
erschienen in: üben & musizieren 5/2010 , Seite 42

Jörg Hilbert, Jahrgang 1965, hat nach Abitur und Zivildienst Kommunikationsdesign studiert. Seine erste Zeichnung erschien 1984 in einer Zeitung, ein erstes Buch mit Musik-Cartoons wurde 1988 veröffentlicht. Seither folgten in Wort und Bild ungefähr sechzig weitere Bücher, Notenausgaben, CD-ROMs und andere Medien. Am bekanntesten sind die Kinderbuch-Musicals „Ritter Rost“ mit der Musik von Felix Janosa. Sie wurden vielfach ausgezeichnet und sind mit rund 400 Aufführungen pro Jahr auch in ihrer Theaterfassung erfolgreich. Weitere Titel sind „Der Schweinachtsmann“, die weltweit erfolgreiche Serie „Fritz & Fertig – Schach lernen für Kinder“ (zusammen mit Björn Lengwenus) sowie zahlreiche Ausgaben für den Musikunterricht. Zuletzt erschienen sind der Kinderroman „Die Pappenheimer“ sowie „Die Pappenheimer und der Reißwolf“.

Lieber Herr Hilbert, mit der Veröffentlichung seines zehnten Abenteuers feiert Ritter Rost ein großartiges Jubiläum. Was sich im Nachhinein wie eine stringente Erfolgsgeschichte liest, begann jedoch erstmal sehr holprig und unbefriedigend – wie Sie auf Ihrer Website anschaulich erzählen. Es fand sich lange Zeit kein Verlag, der Ihre Geschichte veröffentlichen wollte. Wie sind Sie damit umgegangen? Haben Sie damals trotzdem an einen Erfolg geglaubt oder gab es auch Momente, an denen Sie zweifelten, ob der Weg des Zeichnens und Schreibens für Sie der richtige ist?
Zumindest an meinem Weg als Zeichner habe ich ei­gentlich nie gezweifelt, denn von allen Dingen, die ich schlecht kann, konnte ich das Zeichnen schon immer am wenigsten schlecht. Schon während des Studiums habe ich mich mit der Veröffentlichung von Musik­karikaturen und einem Vertrag mit einer österreichischen Galerie über Wasser gehalten. Danach war ich auch zeitweise als freischaffender Grafik-Designer tätig. Hauptsächlich habe ich immer meine eigent­-lichen Ziele verfolgt – zum Beispiel die Geschichte vom Ritter Rost.
Selbstverständlich ist es frustrierend, wenn man seine Anfragen von den großen Verlagen immer wieder zurückgeschickt bekommt. Andererseits ist das ja eigentlich der Normalfall, auf den man sich entsprechend vorbereiten kann. Ein bisschen an den möglichen Erfolg einer Sache glauben muss man dabei unbedingt, weil man sonst nur schwerlich die Hartnäckigkeit ent­wickelt, die nötig ist, um eine Sache immer wieder zu überarbeiten und anzubieten. Im Nachhinein bin ich aber froh, dass Ritter Rost nicht schlagartig ein Erfolg wurde, denn so hatte ich genügend Zeit, seine Welt ohne kommerzielle Zwänge zu jenem Kosmos aus­zuspinnen, der sie heute ist. Außerdem hat er seine end­gültige Form sowieso erst bekommen, nachdem der Komponist und Produzent Felix Janosa mit seiner fabelhaften Musik dazugekommen war. Es hatte also alles durchaus seinen Sinn.

Ausgangspunkt war ursprünglich ja auch nicht der Ritter Rost, sondern der Drache Koks. Bei den meisten Kindern dürfte er denn auch der eigentliche Held der Geschichten sein. Als analysierender Erwachsener sieht man die Dreiteilung der Figurenkonstellation: der subversiv-anarchische Koks, der ängstlich-quengelnde Ritter Rost und die vernünftige, aber eben auch toughe Powerfrau Bö. Waren diese Rollen von Anfang an bei Ihnen so angelegt oder hat sich das erst allmählich entwickelt?
Das hat sich entwickelt. Der Ur-Koks sah noch ein biss­chen anders aus. Er hatte noch keine Feuerzeugnase und war eher ein trauriger kleiner Drache, der seinen ausgestorbenen Vorfahren nachtrauert. Tatsächlich bildet er zusammen mit dem Burgfräulein Bö und dem Ritter Rost so etwas wie eine kleine Familie. Jeder von den dreien hat wohl was von mir, und zusammengenommen ergeben sie Jörg Hilbert. Kein Wunder, denn man zeichnet sich bekanntlich immer selbst.

Wie genau funktioniert Ihre Zusammenarbeit mit Felix Janosa? Haben Sie die Geschichte fix und fertig im Kopf und er liefert die Songs dazu – oder kann es passieren, dass beim Komponieren auch die Geschich­te noch einmal eine ganz andere Wendung nimmt?
Eine feste Vorgehensweise gibt es nicht. Manchmal ist die Geschichte schon weitgehend fertig, oft schicke ich Felix aber auch grobe Entwürfe oder auch nur Songtexte, die wir dann gemeinsam weiterentwickeln. Nicht selten entzündet sich die Fantasie auch an einer musi­kalischen Idee, die dann gewissermaßen die Keimzelle für alles Weitere ist. Erst wenn das Musik-Konzept steht, wird dann alles festgezurrt. Die Ritter-Rost-Bücher sind ja nicht zufällig „Musicals für Kinder“, sondern folgen einer entsprechenden Dramaturgie. Die Zeichnungen und die Musikproduktion bilden dann den Abschluss der Arbeiten.

Gute und erfolgreiche Kinderbücher sind in der Regel solche, die auch Erwachsene ansprechen. In den Ritter-Rost-Büchern gibt es z. B. eine Vielzahl von Anspielungen, die Kinder noch gar nicht verstehen – sowohl im Text als auch im Musikalischen. Wie ge­lingt es Ihnen, diese Balance von Komplexität und Einfachheit zu erreichen, die offenbar alle Altersgruppen anspricht? Versuchen Sie, „als Kind“ zu denken? Oder eben gerade nicht?
Natürlich verwende ich für Kinderbücher einfachere Satzkonstruktionen, als ich es sonst tun würde, und ich vermeide auch manche Begriffe. Ansonsten schreibe ich aber, wie ich eben schreibe, denn ich nehme meine Leser ernst, egal wie alt sie sind. Es gibt in meinen Texten immer mehrere Ebenen: An der einen hat man vielleicht als Fünfjähriger Spaß, an der nächsten mit zwölf und an der dritten als Erwachsener. Zum eigent­lichen Verständnis der Geschichte ist das nie die Vo­raussetzung und jeder darf sie auf seine ganz persön­liche Weise erleben. Übrigens schimmert bisweilen auch noch eine vierte Ebene durch, die selbst vielen Erwachsenen verborgen bleibt.

Die Ritter-Rost-Bücher und -CDs wurden bereits mehrfach mit dem Medienpreis LEOPOLD des VdM als „Gute Musik für Kinder“ ausgezeichnet. Fühlen Sie und Felix Janosa sich eigentlich als Pädagogen?
Nein. Jedenfalls ist unsere Absicht nicht vorrangig, irgendeine oberflächlich versteckte Botschaft rüberzubringen, im Sinne von: „Sei lieb, sitz gerade und popele nicht öffentlich in der Nase!“ Nichtsdestotrotz stecken unsere Bücher, Hörspiele und CDs voller (zeit-)kritischer Stellungnahmen. Im neuen Hörspiel „Ritter Rost im Weltraum“ geht es zum Beispiel unterschwellig auch um das Thema Computer und Medienkonsum.

Auch wenn im instrumentalpädagogischen Kontext die Ritter-Rost-Bücher am bekanntesten sein dürften: Ihr erfolgreichstes Projekt ist das Schach-Lernprogramm „Fritz & Fertig“, das weltweit verkauft wird. Sie selbst behaupten von sich, dass Sie gar nicht besonders gut Schach spielen können. Wie kam es zu diesem Projekt und wie erklären Sie sich den unglaublichen Erfolg? Ist Schach vielleicht eine noch universellere „Sprache“ als Musik?
„Fritz & Fertig“ wird, soviel ich weiß, in 25 bis 30 Län­dern verkauft. Die erste CD-ROM war sogar ein paar Wochen auf Platz eins in den USA. Um ein guter Schach­spieler zu werden, fehlt mir schon der nötige Ehrgeiz. Ich bin kein Wettkampf-Typ, dafür jedoch ein ganz passabler Erklärer. Und genau das war ja auch meine Aufgabe bei dem Projekt. Für das „Schachliche“ war mein Co-Autor Björn Lengwenus verantwortlich. Der ist Jugendtrainer und hat mir seine innovativen Ideen so lange erklärt, bis ich sie selbst erklären konnte. Das habe ich dann getan, indem ich die Geschichten um Prinz Fritz, seine naseweise Kusine Bianca und die Kanalratte Fred Fertig drumherum gestrickt habe. Natürlich habe ich dadurch eine Menge über Schach gelernt und gucke mir inzwischen mit Begeisterung WM-Kämpfe im Internet an. Denn wenn man erst ein­mal weiß, worum es geht, ist Schach plötzlich so span­nend wie ein Endspiel im Fußball.

Ihr Lieblingsbuch von Ihnen selbst sei, so bekennen Sie auf Ihrer Website, „Die Pappenheimer“. Weshalb?
Das hat mehrere Gründe. Zum einen liegen mir die Hauptfiguren, das Papierfräulein Schnipsel und der mit seinem Schicksal hadernde Mistkäfer Skarabäus, per­sönlich sehr am Herzen. Zum anderen nähere ich mich dort im Zusammenspiel von Inhalt, Illustrationen und typografischer Gestaltung sehr weit meinem Ideal von einem erzählenden Kinderbuch. Wenn ich etwas schreibe, entstehen in meiner Vorstellung immer schon die Bilder, gegebenenfalls die Musik dazu und wie das Buch einmal aussehen wird. All das hängt für mich zusammen. Schließlich habe ich mich im Studium ja auch überwiegend mit Typografie und Buchgestaltung befasst, um nun meine Vorstellungen von einem Buch als Gesamtkunstwerk besser verwirklichen zu können. Meine anderen Lieblingsbücher von mir selbst sind „Der Sonnenmacher“, „Ritter Rost feiert Weihnachten“ und „Rösti und Bö“.

Ritter, Drachen, Papiermännchen und Schachfiguren: Der hilbertsche Kosmos wird in erster Linie von Fantasiewesen bevölkert. Können Sie sich vorstellen, auch einmal ein Buch zu schreiben bzw. zu zeichnen, in dem „nur“ Menschen vorkommen?
Ein solches Buch entwickelt sich schon seit einiger Zeit in meinem Hinterkopf. Es handelt von einem verkannten Komponisten des 17. Jahrhunderts. Es wird wohl noch ein bisschen dauern, bis ich die Entwürfe ausarbeiten kann. Zunächst muss ich meine neue, mehrbändige Detektivserie für den Carlsen-Verlag fertig schreiben, deren erstes Buch im Frühjahr 2011 erscheint. Dann müssen irgendwann schon wieder der nächste Ritter-Rost-Band und ein paar neue Hörspiele geschrieben werden. Außerdem kann es sein, dass in Kürze auch noch ziemlich viel Arbeit für einen großen Ritter-Rost-Kinofilm dazukommt, und dann gibt es auch noch eine ganze Reihe kleinerer Projekte. So wird es 2011 vermutlich eine Kinderbuch-Version mit CD meiner Klaviergeschichte „Unter Wasser“ geben.

Ist das Zeichnen und Texten schwieriger, wenn man sich an die Realität halten muss?
Das ist vom Typ abhängig. Ich selbst fühle zum Beispiel schon seit jeher den Drang zum Fantasieren, Fabulieren, zum Spielen mit Sprache, Bildern und Musik. Ent­sprechend leicht fällt es mir vermutlich. Andere Autoren oder Illustratoren fühlen sich hingegen eher von der detailgenauen Darstellung einer Physiognomie ange­zogen. Oder sie denken episch und ihr Thema ist die chirurgisch-präzise Darstellung psychologischer Zu­stände und Prozesse. Das müssen sie dann natürlich auch tun, denn was man gerne macht, macht man am Ende auch gut.

Ihr Lieblingsinstrument ist die Laute, auf der Sie – so Ihre Selbstauskunft – mehrere Stunden am Tag üben. Wie kamen Sie zu diesem heute eher ungewöhnlichen Instrument?
Ich habe als Jugendlicher sehr intensiv klassische Gi­tarre gespielt und wollte es sogar mal studieren. Aller­dings finde ich die Gitarrenliteratur größtenteils entbehrlich, und ich habe wohl auch damals unterschwellig schon geahnt, dass mein Instrument eigentlich die Laute ist, insbesondere die Barocklaute und die Theorbe, aber natürlich auch die Renaissancelaute. Allerdings nimmt man diese alten Instrumente nicht einfach in die Hand und spielt los, denn sie sind schon grundsätzlich anders als Gitarren: Auf Kraft und Druck reagieren sie oft ungehalten – du musst sie mit anderen Mitteln be­zirzen, um ihren immensen inneren Reichtum hervor­zulocken. Aber wenn sie sich dir erst einmal öffnen, werden sie dich verzaubern.
Den entscheidenden Impuls erhielt ich dann, als ich vor ein paar Jahren eine modernisierte Laute mit Einzel­saiten kennen lernte. Dieser „Liuto Forte“ hat mir den Einstieg nicht nur erleichtert, sondern überhaupt erst ermöglicht. Inzwischen fühle ich mich einigermaßen zu Hause in dieser Welt, egal ob Einzel- oder Doppelsaiten. Auch habe ich mich angefreundet mit Kuppenspiel, niedriger Saitenspannung, dem Knüpfen von Darmbünden, verschiedenen Stimmungen, diversen Tabulatur­systemen, bezifferten Bässen und allem, was sonst noch dazu­gehört. Es ist zwar nur ein Hobby, aber es macht mich glücklich. Übrigens nutze ich das Musik­machen durchaus auch für meine kreative Arbeit: Nichts anderes hilft mir in ähnlicher Weise, mich gedanklich von einem Bild oder einem Text zu lösen, um mich anschließend mit frischen Impulsen neu darauf zu fokussieren. So manche gute Idee ist mir auf diese Weise schon gekommen.

2010 sind Essen und das Ruhrgebiet Kulturhauptstadt Europas. Im Zuge dessen wurde Ritter Rost zum Kulturbotschafter der Metropole Ruhr ernannt. In welcher Form wurde er als Botschafter aktiv und gibt es besondere Veranstaltungen im Herbst, auf die man sich freuen kann?
Veranstaltungen gibt es so viele, dass ich sie hier gar nicht im Einzelnen auflisten kann. Besser, man besorgt sich eins der klitzekleinen „Ritter-Rost-Erklärbücher“, die genau das zum Inhalt haben. Es gibt sie zu den Themen Kulturbegriff, Geschichte, Veranstaltungstipps und Ausflugsziele, und man findet sie zum Beispiel unter www.terzio.de. Außerdem wird der Ritter Rost aktiv in seinem Abenteuer „Ritter Rost macht Urlaub“. Ohne dass es zum Verständnis der Geschichte notwendig wäre, ist hier augenzwinkernd der Strukturwandel im Ruhrgebiet thematisiert. Das Buch gibt es zwar schon zehn Jahre, doch für das Kulturhauptstadtjahr wurde eigens eine Sonderausgabe herausgegeben, in der die versteckten Anspielungen erläutert werden.

Lieber Herr Hilbert, zum Abschluss würde ich gerne Ihre Spontaneität testen: Ich nenne Ihnen nacheinander fünf Begriffe, Dinge oder auch Namen und Sie sagen mir bitte so rasch wie möglich, was Ihnen dazu einfällt. Es geht los mit …
… Pettersson und Findus …
Sven Nordquist ist einer der größten Zeichner, die ich kenne.

… Rolf Zukowski …
Man sagt, er sei ein freundlicher Mensch, dem der Erfolg nicht zu Kopf gestiegen ist.

… Mittelalter …
Eiserne Burgen, Reißnägel und Büroklammern zum Frühstück, Zauberspiegel-Internet, Burgfräuleins mit sprechenden Hüten, kleine Hausdrachen mit Feuerzeugnase sowie ein rostiger Ritter, dessen Bauch wie eine Registrierkasse aussieht.

… Joachim Ringelnatz …
Der Cousin meiner Urgroßmutter.

… die Dowland-Einspielungen von Sting mit dem Lautenisten Edin Karamazov.
Mir gefallen sie, auch wenn es Aufnahmen gibt, die ich lieber mag. Es muss in der Musik aber erlaubt bleiben, Überraschendes und Neues zu wagen, sonst kann man sie genauso gut „Nachlassverwaltung“ nennen.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 5/2010.