Kinoshita, Yoshihisa Matthias

Mehr als richtig singen

Der Kinderchor – ein Raum für die innere Entwicklung der Kinder?

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 2/2014 , Seite 12

Im Wolfratshauser Kinderchor können Kinder von sechs bis 16 Jahren Mitglied sein und dabei verschiedene Chorstufen durchlaufen. Dies ist für das Kind eine entscheidende Zeit des Heranwachsens und der Persön­lich­keitsentwicklung. Unser Beitrag geht der Frage nach, wie ein Kinderchor sich auf diese Entwick­lungsphase positiv mitgestaltend auswirken kann.1

Pädagogisches Konzept

Das pädagogische Konzept des Wolfratshauser Kinderchors besteht im Wesentlichen darin, dass bei uns jedes Kind mitsingen darf, wenn es Motivation und Freude am Singen mitbringt oder bereit ist, diese zu entwickeln. Da ich die Erfahrung gemacht habe, dass die Freude am Singen erst einmal nichts mit Begabung und aktuellem Können zu tun hat, stehen diese zwei Aspekte am Anfang nicht im Fokus und stellen auch keine Bedingung dar.

Freude kommt vor „richtig oder falsch“
In der Musik, beim Musizieren und speziell beim Singen passieren Dinge, die sich zuerst in einer Freude des Miteinanders ausdrücken und unabhängig von musikalischer Begabung und Können sind. Diese Möglichkeiten des Miteinanders und die Freude daran zu wecken und zu fördern, ist meine Aufgabe als Chorleiter und steht an erster Stelle. Das heißt, im Wesentlichen steht die Beziehungsebene im Fokus. Ich mache den Kindern ein Angebot: „Schaut, ich bin jemand, der gerne singt, und ich freue mich, wenn ihr mitsingt und mit mir etwas teilt.“ Diese Beziehungsebene in Bezug zu jedem einzelnen Kind nie zu verlassen, ist mein Ziel. Denn diese Beziehungsebene trägt die Kinder und mich durch ein Chorleben.
Am Anfang steht also nicht die Frage: „Was kann das Kind schon?“, sondern: „Hat das Kind einen Bezug zum Singen und empfindet es Freude am Singen oder an dem Klang, den es im Chor erfährt?“ Ich nehme daher jedes Kind erst einmal mit seiner Freude und Motivation, die es für das Singen mitbringt, an, auch wenn es voller Begeisterung laut und falsch singt. Würde ich meine Anerkennung an die sängerische Leistung koppeln, liefe ich Gefahr, dass die Freude des Kindes am Singen vergeht. Die Kunst, dem Kind seine Freude am Singen zu erhalten und ihm gleichzeitig beizubringen, die genauen Töne zu treffen, bedeutet, dass ich ihm zuerst das Gefühl geben muss, es ist gut und richtig, was es macht. Denn es ist richtig, diese Freude zu empfinden!
Diese Freude macht das Musizieren lebendig. Bei einem Kinderchorkonzert wird mir das Herz gerade dann warm, wenn ein Kind ungeniert voller Freude laut und falsch singt. Das Herz wird mir warm, weil diese Freude zu hören ist – unbefangen und ungetrübt von der Angst, dass etwas falsch sein könnte. Wenn Kinder singen, öffnen sie sich. Und es wäre brutal, wenn man in so einer Situation zu früh anfängt, mit falsch und richtig zu hantieren, ohne dass schon ein Vertrauensverhältnis zwischen der Chorleitung und dem Kind entstanden ist.

1 Wesentliche Teile dieses Beitrags sind folgenden Artikeln entnommen: Yoshihisa Kinoshita: „Ausüben – mehr als richtig singen“, in: Michael Fuchs (Hg.): Hören, Wahrnehmen, (Aus-)Üben (= Kinder- und Jugendstimme, Band 3), Berlin 2009, S 157-165 und Yoshihisa Kinoshita: „Gemeinsam singen“, in: Der Kinderchor. Dokumentation Osnabrücker Symposium SINGEN MIT KINDERN, Band 3, hg. von Andreas Mohr, Osnabrück 2011, S. 7-15.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2014.