Mathot, Leonie / Ton Koopman

Mein Bruder ist ein Wunderkind

Nannerl Mozart erzählt. Mit Illustrationen von Jannemeis Snels, mit CD

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Hug, Zürich 2009
erschienen in: üben & musizieren 5/2009 , Seite 56

Das einzig bunte Bild ist der Titel: Da sieht man Ludwig XV. mit seinem Hofstaat im Festsaal von Versailles dem Cembalo spielenden Wunderkind Wolfgang Amadeus lauschen, liebevoll-ironisch gezeichnet von Jannemeis Snels. Schlägt man das Buch auf, wird es schwarz-weiß-rot, und das macht den Charme dieses Buchs aus: Den Kindern schlägt nicht gleich bunte Knalligkeit entgegen, sondern sie können in aller Ruhe die vielen, vielen Details der Zeichnungen suchen, finden und beschreiben.
Leonie Mathot hat zusammen mit ihrem Schwager Ton Koopman die Geschichte des Knaben Mozart aus der Sicht seiner Schwester Nannerl erzählt. In 14 Kapiteln erfahren wir über das Leben der Kinder im 18. Jahrhundert, über die Widrigkeiten einer Reise in der Kutsche, über eine spannende Überfahrt nach England, und es wird erzählt, was alles vor und während eines Konzerts passieren kann, das nichts mit der Musik zu tun hat. „Die Geheimsprache“ heißt ein Kapitel, ein anderes „Das Tintenfass“, über Schwierigkeiten mit vergessenen Pässen lesen wir und wie man auch auf engstem Raum in der Kutsche Klavier üben kann. Kindersorgen und ein klein wenig Kinderneid werden thematisiert und im letzten Kapitel „Der Abschied“ geht Wolfgang ohne seine große Schwester allein mit dem Papa auf Konzertreisen.
Unterbrochen werden diese Episoden aus dem Kinderleben jeweils von einer Doppelseite lebendigster Unterweisung: Was ist ein Cembalo (eine Geige, eine Orgel, eine Partitur)? Wie wird man Musiker? Fragen eines Kindes an Ton Koopman: „Waren Sie auch ein Wunderkind?“ Wir erfahren etwas über Johann Christian Bach, über den Aderlass als Therapie auch bei Kindern und schließlich darüber, wie es mit Nannerl Mozart und ihrem Bruder weiterging, denn auch sie sind erwachsen geworden.
Zu jedem Kapitel kann man auf einer hübsch gerahmten Leerseite seine eigene Sicht der Dinge aufmalen, wenn man will. Die sorgfältig vom Amsterdam Baroque Orchestra unter der Leitung von Ton Koopman eingespielte CD ist klug konzipiert. Zu jedem Kapitel sind kurze Sätze eingespielt, z. B. aus Leopold Mozarts Kindersinfonie, deren Wachtel-, Kuckucks-und Nachtigalltöne jedes Kind hellhörig werden lassen (Marieke Koopman singt). Händels „La Rejouissance“ aus der Feuerwerksmusik sorgt für Tempo und zum Schluss ist sogar der 4. Satz aus Mozarts Jupitersinfonie zu hören. Die Menuette aus Nannerls Notenbüchlein und die Variationen über Ah, vous dirai-je, Maman spielt Tini Mathot auf dem Hammerklavier. Fast eine Familienproduktion.
Die Übersetzung aus dem Niederländischen besorgte Johanna Fuchs. Bleibt zu wünschen, dass viele Kinder Großeltern haben, die ihnen dieses Buch vorlesen, denn häufig betreuen die Großeltern einmal in der Woche ihre Enkel – nicht nur in Holland; und sie sind es, meint Koopman, die den Enkeln Freude an klassischer Musik am ehesten vermitteln können. Recht hat er.
Bärbel Becker