Behschnitt, Rüdiger

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„VAN“ – Magazin für klassische Musikkultur

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 4/2014 , musikschule )) DIREKT, Seite 12

In diesen Zeiten ein „Magazin für klassische Musikkultur“ auf den Markt zu bringen, dazu gehört eine gehörige Portion Mut. Hartmut Welscher und Ingmar Bornholz haben diesen Mut bewiesen und wollen mit einem kleinen Team aus Redakteuren und Gestaltern vierteljährlich „neue Perspektiven – nicht nur auf die Musik selbst, sondern auch die klassische (Sub-) Kultur drumherum, das Schräge, Skurrile, Abgründige –“ eröffnen, so ihr eigener Anspruch. Sie tun dies ganz zeitgemäß in aus­­schließlich elektronischer Veröffent­li­chung
– mit einem App-Magazin.
Für diese Form der Publikation sprechen außer wirtschaftlichen vor allem inhalt­liche Gründe: Über Musik zu lesen, ist schön; Musik zu hören, ist noch schöner. Ein App-Magazin bietet die Möglichkeit, Lesen, Hören und Sehen zu verbinden und die Texte über Musik mit Hörbeispielen und Videos anzureichern. Das neue Magazin VAN (ein unglücklich gewählter Titel, der wohl auf Ludwig van Beethoven oder das englische „Fun“ anspielen soll, jedoch zunächst Assoziationen an Familien-Großraumlimousinen hervorruft) nutzt die technischen Möglichkeiten noch etwas ­unentschieden. Während man einerseits gleich zu Beginn mit einem videoanimierten Titelbild überrascht wird, kommen doch sehr viele Artikel als eher trockene Bleiwüste daher.
Pluspunkt: Hier gibt es wirklich etwas zum Lesen! Wer sich von einem App-Magazin Oberflächlichkeit und schönen Schein erwartet, wird positiv überrascht. Die Beiträge sind umfangreich und tiefgehend und bieten Lesestoff für viele Stunden. Minuspunkt: Ein etwas aufgelockerteres, farbenfroheres Design wäre gerade bei einem elektronischen Medium wie dem Tablet schon wünschenswert. So ist etwa das Interview mit dem Cellisten Mischa Maisky in zwei Teile gegliedert: Teil 1 umfasst den (fast schon überlangen) Text, aufgelockert durch nur wenige kleine Port­räts und einige Hörbeispiele; Teil 2 besteht aus einer Fotostrecke, die ebenfalls fast kein Ende nehmen will. Hier wünsche ich mir für die kommenden Ausgaben eine mutigere redaktionelle Auswahl und vor allem eine ansprechendere Verbindung von Text und Bild, für die gerade eine App umfassende Möglichkeiten bietet.
Doch es gibt auch Beispiele dafür, dass die technischen Möglichkeiten vorbildlich genutzt werden. Im Beitrag „Da ist Musik drin“ verbinden die AutorInnen ein Bild ganz subjektiv und assoziativ mit der für sie dazugehörenden Musik. Eine wunderbare Idee, die den Betrachter zu eigenen Assoziationen anregt und zum Träumen verführt. Und in der Fotoserie „Die Unsichtbaren“ werden „Menschen hinter dem großen Auftritt“ in Bild und Musik vorgestellt: von der Souffleuse über den Bühnenarbeiter bis zum Klaviertechniker.
Was erwartet die LeserInnen noch im neuen Klassikmagazin VAN: Beiträge über die persönlichen Erfahrungen einer Orchestermusikerin beim Probespiel, Gedanken zum Stück Tempo Strozzato von Rolf Riehm, Überlegungen zur GEMA und der Unterscheidung in U- und E-Musik, ein Porträt des musikalischen Grenzgängers Bryce Dessner, Betrachtungen zur brasilianischen Musikkultur, der Rolle der Komponistinnen in unserer Musikkultur, ein Porträt des CD-Labels „col legno“ und vieles mehr.
Mein persönliches Highlight: die kritische Analyse des venezolanischen Musikerziehungsprogramms „El Sistema“ durch den englischen Wissenschaftler Geoff Baker. Ein System, das laut Baker auf den Grundwerten Disziplin und Gehorsam beruht und damit eine Pädagogik transportiert, die wir in Deutschland schon lange hinter uns gelassen zu haben glaubten. Ein Beitrag, der unsere europäisch verklärte „El- Sistema“-Begeisterung wieder auf den Boden der Tatsachen stellt.
Auch wenn das inhaltliche Profil noch geschärft und die mediale Aufbereitung verbessert werden kann: Das neue Magazin VAN ist eine Bereicherung für Klassik-Fans, die neugierig sind auf Entdeckungen jenseits des Gewohnten. VAN ist erhältlich für iPad (im iTunes App-Store) und And­roid-Tablets (bei Google Play) und kostet 4,99 Euro pro Ausgabe bzw. 17,99 Euro im Abo (vier Ausgaben pro Jahr). Weitere Informationen: www.van-magazin.de