Behschnitt, Rüdiger

Meine App

„klang²“ – Hör-Memory aus Holz und App

Rubrik: Digital
erschienen in: üben & musizieren 6/2022 , Seite 43

In meiner Kindheit spielten wir gerne Hör-Memory: Film-Döschen wurden mit unterschiedlichen Materialien befüllt – Reiskörner, Pfeffer, trockene Blätter, Steinchen etc. –, die beim Schütteln unterschiedliche Geräusche erzeugten. Je zwei Döschen hatten den gleichen Inhalt. Allerdings hatte dieses Hör-Memory einen entscheidenden Nachteil: Es konnte nur Geräusche erzeugen, aber keine Töne, Klänge, Intervalle oder gar Melodien.
Heute wüssten wohl nur noch wenige, was Film-Döschen überhaupt sind. Dafür gibt es heute mit klang² (sprich: Klangquadrat) ein Hör-Memory, das seinen Namen verdient. Geigenbauer Sebastian Oberlin, der seit 2010 die Geigenbauwerkstatt Andernach in Freiburg führt, und Adrian Ren­nertz, Medienkünstler, Musiker und Programmierer, vereinten ihre jeweiligen Stärken – Holz und App – in einem wunderschönen Produkt. Wer das Spiel bestellt (www.klang2.com), erhält ein unscheinbares kleines Pappschächtelchen, das nichts weiter enthält als 20 quadratische Holzplättchen (4 × 4 cm). Wie es sich für einen Geigenbauer gehört, sind die Plättchen aus Tonholz gearbeitet; es gibt sie in den Holzsorten Ahorn, Birne, Schwarzpappel und Zypresse. Jedes Plättchen ist ein optischer und handschmeichlerischer Genuss.
Doch was nun? Alle Plättchen sehen identisch aus, von Klang ist nichts zu hören. Nun kommt die App ins Spiel: Über einen QR-Code in der Schachtel gelangt man zum Download der App klang². Was nun noch fehlt, ist ein Smartphone mit integ­riertem NFC-Reader. (Heute verfügen alle Smartphones mit Android ab Version 4.0 und alle Apple-Smartphones ab iPhone 6 standardmäßig über einen NFC-Chip.) Und los geht’s: Wie bei Memory üblich legen wir die 20 Holzplättchen in einem Gitter (4 x 5) vor uns auf den Tisch. Derzeit enthält die App elf unterschiedliche Themen bzw. Spiele, das Angebot wird kontinuierlich erweitert. Wir wählen beispielsweise „Komponisten der Klassik“.
Das Smartphone liegt neben uns auf dem Tisch. SpielerIn 1 nimmt ein Plättchen und hält es an das Handy: Es erklingen die ersten Takte von z. B. „Der Schwan“ aus dem Karneval der Tiere von Camille Saint-Saëns. Beim zweiten Plättchen hören wir etwa einen Ausschnitt aus der Arie der Königin der Nacht aus Mozarts Zauberflöte. Es erklingt jeweils nur ein Melodieausschnitt, gespielt auf der Violine. Nun ist SpielerIn 2 an der Reihe und versucht, zwei passende Melodieteile zu finden. Wenn es gelingt, ein passendes Pärchen zu entdecken, erklingt der Ausschnitt zur Belohnung in der originalen Orchesterfassung.
Nicht alle Spiele haben ein musikalisches Thema. Derzeit umfasst die App die Spiele „Weihnachtslieder“, „Kinderlieder“, „Sprichwörter“, „Tierstimmen“, „Komponisten der Klassik“, „Länder und Hauptstädte“ (bei passenden Pärchen wird kurz die jeweilige Nationalhymne angestimmt), „Skalentrainer“ (dies ist kein Memory, hier sollen die Töne in der richtigen Reihenfolge zu einer Skala geordnet werden), „Vogelstimmen“, „Nursery Rhymes“, „Himmlische Oktaven“ sowie „Die klassische Gitarre“. Bei „Himmlische Oktaven“ können auch Profis schnell an ihre Grenzen geraten: Es ist nicht einfach zu erkennen – und sich zu merken –, ob die soeben auf dem Klavier gespielte Oktave in der Tonhöhe identisch war mit einer der zuvor gespielten, zumal jede Oktave in zwei unterschiedlichen Tempi erklingt. Wem es gelingt, der wird mit einer Passage aus einem Werk belohnt (gespielt in Klavierfassung), in dem sich diese Oktave verbirgt. Puh, wer kann das Intervall auch dort noch heraushören?
Jedes Spiel lässt sich in drei Schwierigkeitsgraden spielen, mit acht, 16 oder 20 Plättchen. Ein Nachteil von klang² ist, dass ausgerechnet die Klangqualität mancher Beispiele zu wünschen übriglässt. Vermutlich aus rechtlichen bzw. finanziellen Gründen wurde bei „Komponisten der Klassik“ auf (ur-)alte Aufnahmen zurückgegriffen, deren Rauschen manchmal das zu Hörende fast übertönt. Und im Bereich der Lieder erklingt zu viel synthetisch Produziertes anstelle echter Instrumente. Auch die kurzen Erklärungen zu Stücken und Komponisten, die in der App zu lesen sind, sollte die Lehrperson vielleicht besser für sich behalten. Andererseits: Über die für heutige Ohren mangelhafte Klangqualität historischer Aufnahmen oder synthetischer Sounds lässt sich mit SchülerInnen gut diskutieren.
An klang² fasziniert die überzeugende Optik und Haptik der wunderschön gearbeiteten Holzplättchen sowie das Geheimnis der Technik: Wie kann es sein, dass scheinbar jedes Plättchen in jedem Spiel einen anderen Klang hervorruft? Leider haben Ästhetik und Geheimnis ihren Preis: Die unterschiedlichen Holzversionen von klang² kosten je 89 Euro, eine günstigere Version aus Buchbinderpappe ist für 37 Euro erhältlich. Vielleicht noch eine Idee für die Weihnachtswunschliste…

www.klang2.com
Anbieter: Oberlin & Rennertz GmbH
System: iOS, Android