Behschnitt, Rüdiger

Meine App

„Sound Uncovered“ – explOratorium der Geräusche

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 1/2017 , musikschule )) DIREKT, Seite 09

Wer bei „Gehörbildung“ spontan an seinen Musikunterricht oder die Aufnahmeprüfung zum Studium denkt, an das Erkennen von Intervallen, Akkorden und deren Umkehrungen, der reagiert vermutlich ähnlich wie viele andere Menschen, die ein Instrument spielen oder sich anderweitig intensiv mit Musik beschäftigen. Doch wenn man den Begriff beim Wort nimmt, dann umfasst die „Bildung“ unseres Gehörs sicherlich mehr als nur die oben erwähnten Bereiche. Und je mehr wir uns mit unserem Gehör beschäftigen, umso klarer wird uns, wie viel es in der Welt des Hörens noch zu entdecken gibt.
Die App Sound Uncovered wurde entwickelt vom explOratorium, einem interak­tiven Museum in San Francisco, das seine BesucherInnen, große wie kleine, dazu einlädt, hinter das scheinbar Bekannte zu blicken und die Welt, in der wir leben, zu erforschen und mit wachen Sinnen zu entdecken. So wie viele Museen in den USA hinsichtlich der Präsentation und pädagogischen Aufbereitung ihrer Schaustücke manch ehrwürdigem Museum in „good old Europe“ ein großes Stück voraus sind, so ist auch diese App ein kleines Meisterwerk, das einen fesselt, sobald man das erste der insgesamt 15 Kapitel geöffnet hat.
„Find the Highest Note“ – die App gibt es nur in Englisch, da sie sich jedoch auch an Kinder richtet, werden keine außergewöhn­lichen Sprachkenntnisse verlangt – präsentiert das erstaunliche Phänomen eines unendlich ansteigenden Tonhöhenverlaufs. Vergleichbar mit den endlos ansteigenden Treppen des niederländischen Künstlers und Grafikers M. C. Escher erklingen beim Drücken von zwölf kreisförmig angeordneten Tasten Akkorde, die im Halbton­abstand ansteigen. Doch oh Wunder: Beim erneuten Drücken der ersten (bzw. dann dreizehnten) Taste erscheint uns der Akkord wiederum um einen Halbton nach oben versetzt – und so weiter bis in alle Ewigkeit. Selbstverständlich wird zu jedem Phänomen unter dem Button „What’s going on?“ die Erklärung mitgeliefert.
Dass wir unseren Ohren nicht immer trauen können und vor allem unsere technische Umwelt auch unter auditiven Gesichtspunkten durchgestyled ist, wird nirgends so deutlich wie bei Autos. Dies macht das Kapitel „Which Car Would YOU Buy?“ ohrenfällig. Natürlich wissen wir, dass die Anzeige des Blinkers heutzutage rein optisch und daher eigentlich lautlos funktioniert. Aber das für jedes Modell von Sounddesignern eigens entworfene Geräusch des Blinkers sorgt für Wohlbefinden. Gleiches gilt für die Autotür, deren „Klack“ beim Schließen genauso designed worden ist wie das Motorengeräusch, das wir im Inneren des Fahrzeugs hören.
Der sogenannte McGurk-Effekt beschreibt die verwirrende Diskrepanz von Hören und Sehen. Denn auch unser Auge „hört mit“! Wenn wir sehen, dass die Lippen der Sprecherin zum F-Laut leicht geöffnet sind wie im Wort „face“, gleichzeitig jedoch das Wort „base“ hören, dann sorgt dies für Irritation. Wenn wir die Augen schließen, hören wir hingegen eindeutig „base“. Ein Experiment, das übrigens auch im Unterricht leicht nachvollzogen werden kann mit einer sichtbaren Person vor mir, die ein Wort nur mit den Lippen formt („face“), sowie einer weiteren Person hinter mir, die das leicht veränderte Wort spricht („base“). Diese irritierende Erfahrung könnte sogar für den eigenen Auftritt hilfreich sein: Nur dann, wenn meine sichtbaren Bewegungen das widerspiegeln, was ich erklingen lasse, können sich die Zuhörenden vorbehaltlos einlassen auf meinen Vortrag.
Doch die kleine App bietet noch einiges mehr: Wir erfahren unter anderem, wie es klingt, wenn Sanddünen singen; wir können testen, wie alt unsere Ohren (und damit auch wir selbst) sind; wir lernen, weshalb nachts auch weit entfernt erklingende Geräusche ganz deutlich zu hören sind (und dass es rein gar nichts damit zu tun hat, dass die vielen naheliegenden Geräusche des Tages wegfallen); wir können Wörter oder Melodien aufnehmen und rückwärts abspulen (und schmunzeln über die Hysterie der 60er und 70er Jahre über angebliche satanische Botschaften auf rück­wärts abgespiel­ten Schallplatten von den Beatles, Rolling Stones und vielen anderen). Spielerisch, interaktiv, fesselnd.
Sound Uncovered ist kostenlos erhältlich für iPad und iPhone unter www.exploratorium.edu > explore > Apps.