Sachsse, Malte

Menschenbild und Musikbegriff

Zur Konstituierung musik­pädagogischer Positionen im 20. und 21. Jahrhundert

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Olms, Hildesheim 2014
erschienen in: üben & musizieren 5/2015 , Seite 55

Die umfangreiche Studie, die Malte Sachsse an der Folkwang Universität der Künste in Essen als Dissertation einreichte, erstreckt sich über sechs Kapitel. Im zweiten, dem „Methodologischen Teil“ wirft der Autor die prinzipielle Frage auf, welche „Menschenbilder“ und „Musikbegriffe“ in der Herausbildung musikpädagogischer Positionen wirksam sind. Es zeigt sich bald, dass man hier schwankenden Boden betritt. Die Entwicklung von Philosophie, Soziologie und ihrer weiten Teilbereiche zwingt den Betrachter bei musikpädagogischen Grundfragen zu Vorsicht und Bescheidenheit.
Nach einem kurzen „Methodischen Teil“ steuert der Autor den „Analytischen Teil“ an, der die „Menschenbilder“ und „Vorstellungen“ namhafter deutscher Musikpädagogen seit ca. 1900 miteinander vergleicht; so werden die Überlegungen Fritz Jödes unter der Überschrift „Der Konnex von Menschenbild und Musikbegriff als Ergebnis von Nicht-Unterscheidungen“ entfaltet, wobei sich Sachsse hilfreicher Tabellen beim Gang durch das Begriffs­dickicht bedient. Einer eingehenden Analyse unterzieht er sodann Michael Alts „Didaktik der Musik“ (1968) und diskutiert deren leitende Vorbilder im Teil-Bereich „Orientierung am Kunstwerk“.
Im Fall von Dankmar Venus („Unterweisung im Musikhören“, 1969) hebt Sachsse zwar Ähnlichkeiten mit Alt hervor, unterstreicht aber die entschiedene Abkehr dieses Musikpädagogen vom didaktischen Vorrang des Singens zugunsten der modernen Popularmusik.
Bei Rudolf Nykrin, so Sachsse, stehe das „Bild […] vom selbsttätig handelnden, denkenden und erlebenden [Individuum]“ im Mittelpunkt, mit einer „innere[n] Erfahrungswelt, die einerseits differenziert und erweitert, andererseits in ihrer Subjektivität respektiert und bewahrt werden soll“. Von Interesse ist zugleich Sachsses Versuch, die allgemeinen Zeitumstände von Nykrins musikpädagogischen Erörterungen zu verdeutlichen, etwa den Kontext der Schul- und Bildungsreform um 1970 oder das wachsende Gewicht der modernen Begabungsforschung und Lernpsychologie.
Es liegt in der Natur einer Rezension, nur einige Schwerpunkte setzen zu können. Nachstehend seien wenigstens die weiteren musikpädagogischen Konzepte genannt, denen sich Sachsse – gleichbleibend intensiv – zuwendet: „Der Erfahrungsbegriff bei Richter und Rolle“; „Rauhes/ Reineckes/Ribkes ‚Hören und Verstehen‘“; „Werner Janks Konzeption des ‚Aufbauenden Musikunterrichts‘“; „Zur anthropologischen Dimension der musikalischen Neurobiologie-Rezeption bei Wilfried Gruhn“; „Christian Harnischmachers ‚Subjektorientierte Musikerziehung‘“ sowie Stefan Orgass’ „Entwurf einer Kommunikativen Musikdidaktik“.
Albrecht Goebel