Bartók, Béla
Mikrokosmos
Drei Bände
1940 ist Bartóks Mikrokosmos erstmals bei Boosey & Hawkes in London erschienen. Heute ist dieses Werk für uns ein einmaliges Kompendium, welches in stilistischer und satztechnischer Hinsicht hervorragend in die Musik des frühen 20. Jahrhunderts einführt. Ein Meisterwerk, das aus dem Repertoire des Klavierunterrichts hinsichtlich seiner künstlerischen Aussage und seiner zahlreichen methodisch-didaktischen Anregungen nicht mehr wegzudenken ist.
Nun hat die Wiener Urtext Edition in gründlicher Recherche alle sechs Bände neu verlegt, zusammengefasst in drei umfangreiche Bände, wie es von Bartók ursprünglich vorgesehen war. Im Vorwort gehen Michael Kube und Jochen Reutter ausführlich auf die Entstehungsgeschichte ein. Hinweise zu Studium und Interpretation vom renommierten Pianisten Peter Roggenkamp ergänzen die hochwertige Ausgabe.
Roggenkamp erläutert Bartóks Klavierspiel, wie es von Zeitgenossen und Schülern wahrgenommen wurde, und geht zudem auf musikalische Parameter wie Tempo, Phrasierung, Artikulation, Dynamik, Agogik und Ausdruck ein. Wichtig sind seine Hinweise zu Fingersatz und Pedalgebrauch, wie Bartók sie sich vorstellte, und zu den neuen Klangtechniken. In einem mehrsprachigen Glossar werden die zahlreichen Spielanweisungen des Komponisten übersetzt.
Der Notentext hält sich an die ursprüngliche Ausgabe inklusive kleiner Korrekturen und ist sehr übersichtlich gestaltet. Etwas Besonderes gibt es jeweils im Anhang. Dort finden sich Sonderfassungen, die Bartók für seinen Sohn Peter anfertigte. So finden wir im ersten Band die drei Stücke Wellen, In siebenbürgischer Art und In orientalischer Art mit weiteren Akzenten versehen, die Aufschluss über die Gewichtung der Phrasierung geben. Der dritte Band enthält im Anhang frühere Fassungen der Chromatischen Invention (3) und vom Marsch. Hier ist es sehr interessant, die Fassungen miteinander zu vergleichen, bekommt man so doch einen Einblick in den Wandel des Entstehungsprozesses.
Einen besonderen Schatz bilden die im Anhang B enthaltenen bisher unveröffentlichten Stücke. Im ersten Band sind es zwei dorische Miniaturen. Im zweiten dann eine Vorform von Nr. 63, Gesumm, in lokrischer Tonart, hier auf H und in größeren Notenwerten, später in der Originalversion in Lokrisch auf Fis und in schnelleren Notenwerten notiert. Allerdings hätte dieses Stück in den ersten Band gehört. Ein Juwel ist dann noch eine zweiseitige Komposition mit Resonanztönen, in der Bartók zudem seine von ihm bevorzugte Istrische Tonskala einsetzt. Die Stücke im Anhang lassen sich wunderbar ergänzen in Hinsicht auf Tempo, Dynamik, Artikulation und sind somit ein hervorragendes Material auch für den Kompositionsunterricht.
Diese Neuausgabe des Mikrokosmos ist absolut empfehlenswert und bietet auch denen, die das Werk schon kennen, reichhaltige Anregungen zum Vertiefen und Vergleichen. Eine vorbildliche Ausgabe.
Christoph J. Keller