© Michael Marurissens

Buyken-Hölker, Stephanie

Mittendrin: die VocalBreak

Zehn Minuten Klassenmusizieren am Vormittag in der Schule

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 6/2019 , Seite 24

10:15 Uhr in der Gesamtschule Köln-Mülheim. Die Klasse 5a hat Mathe­unterricht. Die SchülerInnen arbeiten an ihren Aufgaben. Die Tür geht auf, zwei SchülerInnen der 6. Klasse und eine Lehrerin mit Keyboard betreten den Raum. Die FünftklässlerInnen sehen auf, legen die Stifte zur Seite, klappen die Hefte zu, stellen sich hinter ihre Stühle. Alle? Ein Mädchen bleibt sitzen. Es formt die Hand zu einem „T“ : Timeout. Die Lehrerin nickt. Alle wissen Bescheid. Der Sechst­klässler hängt bunte Karten an die Tafel, die Lehrerin baut das Keyboard auf, das Mädchen aus der 6. Klasse schaut die FünftklässlerIn­nen an, lacht und beginnt einen Bodypercussion Beat zu klatschen. Die 5a stimmt mit ein: Die VocalBreak beginnt…

Entwickelt wurde die VocalBreak im Schul­jahr 2017/18 als Modellbaustein des Projekts „Eine (Musik)Schule für alle“ (EMSA) an der Gesamtschule Köln-Mülheim in Kooperation mit der Rheinischen Musikschule Köln. Ziel von EMSA ist, dass Musikschule und weiterführende Schule gemeinsam die musikalischen Bildungswege aller SchülerInnen ausgestalten – und dies im Kontext von nachhaltigen Musikkooperationen. Das Modell EMSA entwickelte sich in den Jahren 2015 bis 2018 aus dem gleichnamigen Schulentwicklungsprojekt des Landesverbands der Musikschulen NRW und der Hochschule für Musik und Tanz Köln unter der Leitung von Stephanie Buyken-Hölker, Ursula Schmidt-Laukamp und Christine Stöger.1 Im Folgenden sollen Ursprung und leitende Prinzipien des EMSA-Bausteins VocalBreak skizziert und mit Blick auf die (Musik-)Schulpraxis veranschaulicht werden.
In Köln entstand die VocalBreak auf Wunsch beider kooperierender Schulen (Musikschule und weiterführende Schule) mit dem Ziel, für die Klassen 5 und 6 im Bereich der musika­lischen Breitenförderung ein musikpraktisches Angebot für alle zu entwickeln, das organisatorisch und inhaltlich eng in den Schul­alltag integ­riert ist und zudem neue Möglichkeiten der Rhythmisierung im schulischen Ganztag erprobt.2 Die VocalBreak kann sowohl von Ins­trumentallehrkräften als auch von SchulmusikerInnen unterrichtet werden und verortet sich als voraussetzungsoffenes Klassenmusizierformat im Spannungsfeld von Breitenförderung und individueller Lernprogression und inmitten von Fragen um die Zuständigkeiten musikpädagogischen Handelns auf der institutionellen Landkarte von Schulmusik und Instrumentalpädagogik.3
Innerhalb eines Zeitraums von etwa zehn Minuten verfolgt die VocalBreak das Ziel, individuellen Kompetenzaufbau im Bereich der Elementarlehre und des musikalischen Gestaltens in der Gruppe zu ermöglichen. Dem Spagat zwischen gemeinschaftlichem Musizieren und selbstbestimmtem Lernen begegnet das Konzept auf Basis eines konstruk­tivistisch orientierten Lernverständnisses.4 Diese lerntheoretische Ausrichtung spiegelt sich unter anderem im schnellen Wechsel sehr unterschiedlich ausgerichteter Phasen wider. Mithilfe variierender Zugangsweisen und Aufgabenstellungen sollen hier für möglichst viele Lerntypen passende Zugänge zum elementaren musikpraktischen Lernen angeboten werden.

Phasen einer VocalBreak-Einheit5

Warmup, SolmisationsZeit, RätselZeit, Rhyth­musZeit, ImproZeit, SongZeit und Check and Back bilden die Phasen einer VocalBreak. Jede dieser Phasen sollte nicht länger als zwei Minuten dauern. Sie stellen einen jeweils eigenen Kompetenzschwerpunkt dar und haben einen spezifischen Lernzuwachs zum Ziel, insbesondere in den Bereichen Rhythmus, Tonvorstellung, Stimmbildung, Improvisation, Bodypercussion, Mehrstimmigkeit und Dirigat. Farbige Symbolkarten werden zu Beginn der VocalBreak-Einheit in der Klasse befestigt. Sie verdeutlichen visuell die Struktur der Einheit und machen für alle sichtbar, welcher Kompetenzbereich gemeint ist.

1 Zu „EMSA“ siehe Stephanie Buyken-Hölker/Ursula Schmidt-Laukamp/Christine Stöger: „Eine (Musik)Schule für alle. Ein Projekt der Hochschule für Musik und Tanz Köln mit dem Landesverband der Musikschulen NRW“, in: üben & musizieren 4/2018, S. 48-50.
2 Derzeit werden im Raum Köln in Zusammenarbeit mit Valerie Barth, Janina Konietzny, Maximilian Stössel und Studierenden der Hochschule für Musik und Tanz Köln an unterschiedlichen weiterführenden Schulen schulspezifische Weiterentwicklungen der VocalBreak und der GesangspatInnenausbildung erarbeitet. Nähere ­Informationen hierzu unter www.emsa-zentrum.de.
3 Der musikdidaktische Diskurs und die musikpädagogische Praxis präsentieren einen bunten Strauß an Wegen, dieser Bezugsfrage musikpädagogischer Angebote im Kontext von Schule und Musikschule zu begegnen. In Zeiten kompetenzorientierter Lehrpläne und individueller Förderung drängt sich die Frage nach der Umsetzbarkeit von musikbezogener individueller Lernprogression beim musikalischen Gestalten im heterogenen Klassenkontext auf. Ebenso stellt sich die Frage, wo die dafür notwendigen elementaren Kenntnisse und Fähigkeiten erworben werden: Wo liegen Kern- und wo Randgeschäfte von Instrumentalpädagogik und Schulmusik? Vgl. hierzu Wolfgang Lessing: „Von Kernen und Rändern. Überlegungen zum Ort der Instrumentalpädagogik“, in: Wolfgang Rüdiger (Hg.): Instrumentalpädagogik – wie und wozu? Entwicklungsstand und Perspektiven, Mainz 2018, S. 19-50.
4 Selbststeuerung, reflexive und multiperspektivisch angelegte Lernformen stellen wesentliche Pfeiler in der Konzeption und Durchführung der VocalBreak dar. Zur Bedeutung eines systemisch-konstruktivistischen Lernverständnisses und der didaktischen Handlungsebenen nach Kersten Reich für die Vokalpraxis in der Schule siehe Nina Dyllick: „Vokalpraxis in der Schule. Durch eine systemisch-konstruktivistische Perspektive zu einem veränderten fachdidaktischen Verständnis?“, in: Bernd Clausen (Hg.): Vergleich in der musikpädagogischen Forschung, Essen 2014, S. 59-80.
5 Inspiration erhielt das Konzept der „VocalBreak“ u. a. durch die Methode der amerikanischen Musikpädagogin Justin Bayard Ward (Ward-Zentrum Köln). Ein herz­licher Dank gilt hier insbesondere Christine Modersohn und Klaus Mader.

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