Boeßner, Georg

Modern Piano Method

Klavier spielen – nach Noten und Akkorden. Für Unterricht und Selbststudium, mit CD

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Nordend Music, Frankfurt am Main 2012
erschienen in: üben & musizieren 5/2012 , Seite 62

Georg Boeßner nimmt für sich in Anspruch, mit seiner Klavierschule die erste vorgelegt zu haben, in der in einem Lehrwerk das Ziel verfolgt wird, sowohl zum Spielen ausnotierter Musik als auch nach Akkordsymbolen zu befähigen. Die Schule ist in elf Lektionen untergliedert, vom allerersten Anfang bis zu Umkehrungen von Dreiklängen. Der Anteil an Musiklehre ist hoch, in jedem Kapitel werden deutlich überschriebene spezifische Themen behandelt.
Boeßner geht zu Beginn sehr langsam voran, im ersten Drittel werden nur weiße Tasten bedient. Durch einfache, verständliche Erklärungen und Anschaulichkeit (z. B. mittels Fotos für die Haltung am Instrument, grafisch abgesetzte Hintergrundinformationen, ansprechende Fragespiele) eignet sich diese Schule zum Selbststudium, gleichwohl wird ein Klavierlehrer empfohlen. Die Ansprache „ihr“ ist ungewöhnlich, da Gruppenunterricht nicht explizit intendiert ist.
Der englisch gehaltene Titel sowie das Wort „modern“ suggerieren methodische Innovationen, diese Erwartung jedoch wird enttäuscht. Die Musiklehre ist korrekt, sie findet sich so in vielen anderen Büchern, der klaviermethodische Lehrgang erinnert an die Schule Schneiders, die satztechnische Reduktion von Originalwerken (von den „klassischen“ Stücken erscheint nur der erste Teil von Für Elise unbearbeitet) an Schaum. Großen Wert legt der Autor auf Fingersätze und Reflexion der Handstellung, die Begrifflichkeit C-Lage für Fünffingerhaltungen, bei denen der unterste Ton C ist, ist nicht allgemein üblich. Die Eigenkompositionen knüpfen zum Teil an Vorbilder an. Dass diese sowie auch die Bearbeitungen von Volksliedern klanglich nicht immer ganz befriedigen, ist der Begrenzung des Materials geschuldet. Ab der 6. Lektion wird die auf die Klaviertechnik bezogene Systematik verlassen, das Strecken der Hände und das Spiel in Doppelgriffen nicht mehr in gleicher Akribie erläutert und geübt wie zuvor.
Das Material für das Spiel nach Akkordsymbolen ist quantitativ deutlich geringer. Die anfängliche Reduktion auf Grundtöne in der linken Hand erinnert an Keyboard-Praxis, freilich ohne Akkordautomatik. Begleitung in Quinten, Dur- und Mollakkorden in Grundstellungen und Umkehrungen verbunden mit drei simplen Rhythmusmodellen sind zu wenig, um Leadsheets adäquat ausdrücken zu können. Es mangelt an Begleitmodellen, die für Transfers genutzt werden könnten. Septakkorde kommen kaum vor, Slash-Akkorde werden nicht thematisiert.
Die Funktion der beiliegenden Begleit-CD (zusätzliche mp3-Dateien können aus dem Internet heruntergeladen werden) wird nicht benannt. Das Vorführen propädeutischer Übungen wie das Spielen des Tons c in Viertelnoten unterschätzt das Vorstellungsvermögen selbst von AnfängerInnen. Und Summ, summ, summ in ein Rock-Arrangement zu verpacken, ist nicht nur stilistisch fragwürdig, sondern gaukelt dem Klavierschüler eine Klanglichkeit vor, zu der sein eigenes Spiel in deutlichem Widerspruch steht.
Boeßner geht von der zweifellos zutreffenden Annahme aus, dass viele KlavierschülerInnen beide von ihm genannten Spielweisen erlernen wollen. Dafür bedarf es mehr als nur einer Addition der Bereiche, vielmehr müssten diese aufeinander bezogen werden. Warum im Klavierunterricht nicht mit zwei verschiedenen Schulen gearbeitet werden sollte, einer traditionellen und einer aus dem Bereich Pop/Rock, wird so nicht deutlich.
Christian Kuntze-Krakau