Rampe, Siegbert

Mozarts Claviermusik

Klangwelt und Aufführungspraxis. Ein Handbuch

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter
erschienen in: üben & musizieren 5/1996 , Seite 50

So viel über Mozart und seine Musik auch geschrieben wurde, beim Anhören der meisten heutigen Interpretationen ist von dem verfügbaren Wissen nicht allzuviel zu bemerken. Werden die einschlägigen Quellen nicht zur Kenntnis genommen oder, so der Inhalt von zwei Kapiteln in Rampes Buch, wurden die falschen Quellen oder die Quellen falsch benutzt?
Nun, was hat dieses Buch Neues zu bieten? Zum einen fällt eine wohl bisher einmalige Breite der Aspekte auf: Man wird z. B. informiert über die Tasteninstrumente im Umkreis der Mozartfamilie und die baulichen Eigenschaften dieser Instrumente sowie deren Spielarten und Stimmungen. Das Buch muß nicht „am Stück“ durchgelesen werden, man kann auch gut einzelne Kapitel daraus studieren. Dabei fällt der Umgang mit Quellentexten angenehm auf: Gut gewählte Zitate werden mit flüssigem Text erläutert, verbunden und weitestgehend recht frei kommentiert.
Das Buch hat drei Hauptteile:
1) Instrumente, 2) Aufführungs­praxis und Interpretation, 3) Werke. Ungewöhnlich reich ist die Information zu den Instru­menten. Bauweise und Verbreitung werden in einer Weise erklärt, die eine praktische Umset­zung in hörbare Gestaltungsmöglichkeiten erlaubt. Außerordentlich liberal beginnt der Teil über Aufführungspraxis: In den Vorüberlegungen betont Rampe die Notwendigkeit der Schlüssigkeit in der Interpretation, wobei er durchaus zugesteht, „daß eine schlüssige Interpretation auch oh­ne Vorkenntnisse von Aufführungstraditionen aus der Epoche eines Komponisten entstehen kann«. Allein diese Haltung mag vielleicht manche Pianistin und manchen Pianisten für dieses Werk interessieren, die bzw. der aus Furcht vor „einengenden Re­geln“ bislang einen weiten Bogen um historische Texte und Ge­pflogenheiten machte. Mit Genuß kann man eigentlich nur die Literaturliste einsehen, welche – von Mozarts Freund Stadler 1800 verfaßt – einen „Musick Plan« aufzeigt, der die vierzig grundlegenden Schriften zur Musik seiner Zeit auflistet und uns vermittelt, welches Basiswis­sen zu Mozarts Zeit ganz selbst­verständlich zur Verfügung stand.
Seltene und heute ungewohnte Einblicke gibt auch die Tonar­tencharakteristik der damaligen Zeit mit Aussagen von z. B. Mat­theson, Schubart und Rochlitz. Ebenso spannend ist die Abhandlung der Tempofrage: Ne­ben der Leopold Mozartschen Deutung der „italiänischen Kunstwörter“ findet man Kriterien für Unter- und Obergrenze eines Tempos sowie Hummels, Czernys und Tomascheks Metronomisierungen der Taktarten.
Im Kapitel über die Spielweise der Klavierinstrumente der Mo­zart-Zeit findet sich Informati­ves, vor allem vom Spieler offen­bar selbst Erfahrenes, doch wäre dieses Gebiet natürlich fast endlos erweiterbar, so z. B. um mehr Aspekte des Gestischen, das ja mit und durch gewisse Hand- und Fingerhaltungen unvermeidlich ins Spiel kommt. Doch das sei keine Kritik. Der prächtige Reiz dieses Buchs liegt ja gerade darin, daß eigentlich alle für InterpretInnen relevanten Faktoren in ein und demselben Buch zu finden sind und aufeinander be­zogen werden können.
Im letzten Teil des Buches wird jedes einzelne Klavierstück Mozarts angesprochen, im Kontext ‚der Zeit, des Oeuvres und mit In­terpretationshinweisen.
Fazit: Dieses Handbuch kann Nutzen bringen, indem es immer wieder zur Hand genommen wird. In Anbetracht der reichhal­tigen Praktiken der vielen Komponistlnnen, musikalischen Zen­tren und unterschiedlichen Epochen weiß man selten genug und tut Weiterbildung immer not.
Dem Verlag und Autor darf man gratulieren! Diesese sympathische Buch mit ebenso sympathischem Preis ist eine echte Bereicherung für KlavierspielerInnen, gleichgültig, ob Laie oder Profi.
Uli Molsen