Bossen, Anja

Musik nützt!

Wirkungen außerunterrichtlicher Musikangebote im Ganztag

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 4/2016 , musikschule )) DIREKT, Seite 12

Die Ganztagsschule wurde unter dem Stichwort „Chancengerechtigkeit“ eingeführt und soll zur Entwicklung kognitiver und sozialer Kompetenzen beitragen – so die Hoffnung neben familien-, sozial- und arbeitsmarktpolitischen Zielen. Was Ganztagsschulen tatsächlich leisten, wird seit 2005 im Rahmen der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten StEG-Studie (Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen) evaluiert, aus der aktuell die Befunde der Jahre 2012 bis 2015 veröffentlicht wurden. Die StEG-Studie 2012-2015 gliedert sich in drei Teilstudien, von denen Teilstudie A sich mit der Stabilisierung von Bildungsverläufen durch Ganztagsangebote befasst und dabei insbesondere die Wirkungen musikalischer Angebote in den Blick nimmt.
Mittlerweile ist deutschlandweit jede zweite Schule eine Ganztagsschule, wenngleich es je nach Bundesland und Schulart Unterschiede bezüglich der Ausgestaltung als offene oder gebundene Ganztagsschule, der Öffnungszeiten sowie bezüglich des Umfangs von Angeboten gibt. Mehr als ­jeder zweite Grundschüler nutzt mittlerweile das Ganztagsangebot, die Nachfrage übersteigt das Angebot dauerhaft. Noch höher als an Grundschulen liegt die Teilnahmequote in der Sekundarstufe I − außer an Gymnasien, wo sie seit 2012 auf ­einem Niveau unterhalb von 50 Prozent stag­niert.
An nahezu allen Schulen umfasst der Ganz­tagsbetrieb auch musisch-kulturelle Angebote. Kooperationen mit Akteuren aus der kulturellen Bildung stehen an Primarschulen und Gymnasien an zweiter Stelle und werden nur von Kooperationen mit Sportvereinen übertroffen. In der Sekundarstufe I außerhalb von Gymnasien hingegen nehmen nach den Sportvereinen Anbieter aus der Kinder- und Jugendhilfe den zweiten Platz ein. Musisch-kulturelle Bildung von Jugendlichen spielt sich offenbar vor allem dort ab, wo sie traditionell schon immer angesiedelt war: an Gymnasien. Positiv im Hinblick auf Chancengerechtigkeit ist hingegen zu bewerten, dass ein genereller Rückgang an Kostenbeiträgen für Angebote an Grundschulen zu verzeichnen ist; inwiefern dies speziell für kulturelle Angebote gilt, wird in der Studie allerdings nicht explizit herausgestellt.
Die Nutzung von Ganztagsangeboten ändert sich über die Klassenstufen. Je älter die SchülerInnen werden, desto schmaler wird ihr Interessenspektrum und desto eher werden statt freizeitbezogener Aktivitäten Angebote zur Berufsorientierung, zum sozialen Engagement oder Angebote, die das schulische Lernen unterstützen, genutzt. Werden Musikangebote in der 5. Klasse noch von 218 SchülerInnen genutzt (bei einer Gesamtstichprobe von 1293 Be­fragten ein recht kleiner Anteil), so sinkt die Zahl der NutzerInnen auf 77 in der 10. Klasse. Musik ist zudem eine weibliche Domäne: Mädchen sind bei Musikangeboten deutlich überrepräsentiert, während Jungen eher ein sportliches Profil wählen.
Diejenigen, die Musikangebote über einen längeren Zeitraum nutzen, profitieren davon: Sie schätzten sich am Ende der Pflichtschulzeit als durchsetzungsfähiger in Bezug auf das Erreichen selbst gesetzter Ziele ein und sie erreichten bessere Noten als diejenigen, die an anderen freizeitbezogenen oder keinen Angeboten teilgenommen hatten. SchülerInnen mit besseren Noten wiederum entschließen sich zu einem längeren Schulbesuch.
Die Studie zeigt, dass es nicht darauf ankommt, Ganztagsangebote überhaupt zu nutzen, sondern darauf, welche Angebote genutzt werden und wie lange sie genutzt werden. Dass Musikangebote zu einer positiven Persönlichkeitsentwicklung beitragen können, wird in der StEG-Studie einmal mehr bestätigt und ist wenig über­raschend. Trotz dieser positiven Befunde bleibt am Ende allerdings die Feststellung, dass an offenen Ganztagsschulen freizeitbezogene Angebote kaum genutzt und dass Musikangebote vorrangig von ohnehin bildungsaffinen Gymnasiasten wahrgenommen werden. Die Nutzung von Musikangeboten hängt trotz aller Bildungs­bemühungen auch weiterhin vom milieuspezifischen Habitus – den „feinen Unterschieden“ im Sinne Bourdieus – ab.

Die Studie steht zum Download unter www.projekt-steg.de/sites/default/files/StEG_Brosch_FINAL.pdf