© Schloss Kapfenburg

Friedhofen, Andrea / Carl-Walter Kohlmann / Alicia Rupprecht / Louisa Eckl

Musik stärkt die Seele

„piccolino“ – ein Projekt zur Prävention und seelischen Gesundheitsförderung in der Grundschule

Rubrik: Gesundheit
erschienen in: üben & musizieren 6/2025 , Seite 34

Bei „piccolino“, einem elementarmusikpädagogischen Unterrichtsangebot in der Grundschule, geht es darum, Stress zu bewältigen, Emotionen auszudrücken und das Gruppengefühl der Kinder zu stärken. Elementares Musizieren be­deutet, spielerisch zu musizieren, Musik zu hören, zu erfinden und zu gestalten.

Das Projekt richtet sich an Grund- und Musikschulen, die Prävention und seelische Gesundheitsförderung in der 1. und 2. Klasse stärken möchten. In wöchentlichen elementarmusikpädagogischen Einheiten erleben Kinder Musik als Ressource für Wohlbefinden, entwickeln Lebenskompetenzen und üben spielerisch Strategien zur Stressbewältigung.
Auf Schloss Kapfenburg findet die Fortbildung für Musikschullehrkräfte zur „piccolino“-Lehrkraft statt. Im Anschluss an die Fortbildung wird „piccolino“ im Tandem mit der Grundschullehrkraft unterrichtet. Das Pilotprojekt wurde auf Schloss Kapfenburg von einem Expertinnenteam konzipiert und von der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd evaluiert. Die Techniker Krankenkasse kann nach Antragstellung  die Umsetzung von „piccolino“ an Grundschulen nach §20 SGB V für die ersten beiden Durchführungsjahre fördern.

Ziel von „piccolino“

Das Erlernen eines Musikinstruments in der Kindheit oder erweiterter schulischer Musikunterricht werden mit vielfältigen kog­nitiven, emotionalen, persönlichen und sozialen Vorteilen in Verbindung gebracht.1 Musiktraining kann die Aggressionskont­rolle günstig beeinflussen2 sowie die soziale Kompetenz und das Selbstwertgefühl von Kindern stärken.3
Ziel von „piccolino“ ist die Entwicklung erster musikalischer Kompetenzen und das Erleben von Musik in der Gruppe. Zusätzlich wird die psychische Gesundheit der Grundschulkinder adressiert. Elementarmusikpädagogische Angebote sollen über musikalische Erfahrungen die Lebenskompetenzen stärken und Kinder befähigen, altersgemäße Entwicklungsaufgaben besser bewältigen zu können. Für die an „piccolino“ teilnehmenden Kinder wird erwartet, dass sie Freude am Unterricht haben, positive musikalische Erfahrungen sammeln (wie z. B. Melodien und Rhythmen erlernen und wiedergeben können) und Strategien entwickeln, wie sie ihr eigenes Wohlbefinden steigern können.

Inhalte von „piccolino“

Die Prinzipien und Methoden der Elementaren Musikpädagogik unterstützen die Realisierung der obengenannten Zielsetzungen. So steht der individuelle Entwicklungsprozess vor der Ergebnisorientierung, die Selbstbildung und Reflexionsfähigkeit vor der Leistungsbewertung im schulischen Sinne. Die mehrperspektivische, intermediale und interaktive Herangehensweise nutzt Wirkungspotenziale der musikalischen Bildung, um durch die Förderung von seelisch-emotionalen Kräften, geistig-intellektuellen Fähigkeiten und sozialen Kompetenzen zu einer positiven Persönlichkeitsbildung beizutragen.
Die Inhalte sind in Basis- und Vertiefungsmodule (Elementares Instrumentalspiel, Stimme, Körper & Bewegung, Ohr – Hören, Ich – Du – Wir, Improvisation – Gestaltung) unterteilt. Der Unterricht findet wöchentlich statt und hat einen festen Platz im Schulalltag der Kinder. „piccolino“ ersetzt dabei nicht den regulären Musikunterricht, sondern ergänzt diesen und zeigt musikalische Impulse für die im Bildungsplan Baden-Württemberg formulierten Handlungsfelder der Leitperspektive „Prävention und Gesundheitsförderung“ auf.4 Deshalb ist „piccolino“ auch für den Ganztagsunterricht geeignet.

Wissenschaftliche Evaluation

In einer Pilotphase mit zwei Projektklassen an zwei Schulen (ländliche Region/Nordschwarzwald und industriell geprägte/Ostwürttemberg) wurde jeweils eine Schulstunde „piccolino“ pro Woche über zwei Schulhalbjahre (zweites Halbjahr Klasse 1; erstes Halbjahr Klasse 2) durchgeführt:
– Phase 1 (Februar 2023 bis Februar 2024; 40 Kinder): Schwerpunkt formative Evaluation der Module und Einheiten auf Durchführbarkeit und intendierte Effekte, mit Anpassungen.
– Phase 2 (Februar 2024 bis Februar 2025; 34 Kinder): Schwerpunkt summative Evaluation mit Vorher-nachher-Vergleich der personalen und sozialen Lebenskompetenzen.
Nach jeder Unterrichtseinheit bewerteten die Tandems die Unterrichtsqualität. Kindereinschätzungen wurden mittels Smilies erhoben. Nach Ende eines Moduls bewerteten die Tandems anhand mehrstufiger Ratings (1 = kaum ein Kind, 4 = viele Kinder, 5 = die meisten/alle Kinder), inwiefern musikalische Erfahrungen (z. B. Grundschlag halten, zusammen agieren) gemacht wurden und welches Verhalten in Bezug auf persönliche (z. B. stolz auf eigenes Können sein) und interpersonale (z. B. sich in die Gruppe integrieren) Lebenskompetenzen erkennbar war. Nur musikalische Erfahrungen und Verhaltensweisen, die in jeweils beiden Schulen mit den Stufen 4 oder 5 bewertet wurden, galten als relevante Wirkungen.
In Phase 2 füllten die Lehrerinnen zusätzlich zu drei Zeitpunkten (Februar 2024, Juli 2024, Februar 2025) für jedes Kind die „Lehrereinschätzliste für Sozial- und Lernverhalten“5 zu den sechs Bereichen Kooperation, Selbstwahrnehmung, Selbstkontrolle, Einfühlungsvermögen und Hilfsbereitschaft, angemessene Selbstbehauptung sowie Sozialkontakt aus. Die Analysen wurden mit altersbezogenen Normwerten durchgeführt, da das Untersuchungsdesign keine Kontrollgruppen ermöglichte.6

Zentrale Ergebnisse

Die Kinder schätzen die einzelnen Stunden im Durchschnitt zu 50 bis 70 Prozent als positiv ein.
In beiden Grundschulen konnte für viele bzw. für die meisten/alle Kinder eine kontinuierliche Zunahme des Auftretens musikalischer Effekte registriert werden (z. B. zusammen agieren, Melodien und Rhythmen erlernen und wiedergeben). Auf Basis regelmäßiger Rückmeldungen aus den Tagebüchern zu Aktivierung, Unterstützung, Klassenmanagement und Kooperation im Tandem wird die gute Durchführbarkeit von „piccolino“ deutlich. Zum Gelingen beigetragen haben darüber hinaus die Rahmenbedingungen in den Schulen (z. B. Offenheit für das Programm).
Auf Klassenebene zeigten sich für viele oder die meisten Kinder deutliche Hinweise auf die Stärkung persönlicher und interpersonaler Lebenskompetenzen (z. B. ihr eigenes Können wahrnehmen, rücksichtsvoll miteinander umgehen).
Betrachtet man die Ergebnisse der von den Lehrerinnen für jedes Kind in ihrer Klasse eingetragenen Einschätzungen in der „Lehrereinschätzliste für Sozial- und Lernverhalten“ vom Beginn zum Ende von „piccolino“, so zeigten sich günstige Effekte für alle Bereiche, wobei die deutlichsten Steigerungen bei Selbstwahrnehmung und Kooperation auftraten.
Unterschiede zwischen den Klassen wurden nicht berücksichtigt, da die Gruppen klein waren und die Einschätzungen von Schülermerkmalen innerhalb von Klassen nicht unabhängig von den Lehrkräften und MitschülerInnen betrachtet werden können.

Fazit

Insgesamt kann man die mit „piccolino“ intendierte positive Entwicklung im gemeinsamen Musizieren und in der Förderung personaler und sozialer Lebenskompetenzen bei einer Vielzahl der Kinder erkennen. Das strukturgebende und mit Unterrichtsmaterial bestückte „piccolino“-Modulhandbuch und die gute Zusammenarbeit der Tandems aus Lehrerin und Elementarer Musikpädagogin stellen zudem bei angemessenen Räumlichkeiten einen wesentlichen Erfolgsfaktor dar.

1 Hallam, Susan: „The power of music: Its impact on the intellectual, social and personal development of children and young people“, in: International Journal of Music Education, 28 (3), 2010, S. 269-289, DOI:10.1177/0255761410370658
2 Roden, Ingo/Zepf, Florian D./Kreutz, Gunter/ Grube, Dietmar/Bongard, Stephan: „Effects of music and natural science training on aggressive behaviour“, in: Learning and Instruction, 45, 2016, S. 85-92.
3 Rickard, Nikki S. et. al: „Orchestrating life skills: The effect of increased school-based music classes on children’s social competence and self-esteem“, in: International Journal of Music Education, 31 (3), 2012, S. 292-309, https://doi.org/10.1177/ 0255761411434824
4 Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg: Bildungspläne 2016: Leitperspektive Prävention und Gesundheitsförderung, Stuttgart 2016.
5 Petermann, Ulrike/Petermann, Franz: Lehrer­einschätzliste für Sozial- und Lernverhalten (LSL, 2. Aufl.), Göttingen 2013.
6 Unterstützung bei der Datenanalyse: Jessica Dieudonné und Theresa Scheiger; Administration der Evaluation: Katja Schleicher (KGZ).

www.piccolino-grundschule.de

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 6/2025.

Page Reader Press Enter to Read Page Content Out Loud Press Enter to Pause or Restart Reading Page Content Out Loud Press Enter to Stop Reading Page Content Out Loud Screen Reader Support