Gutzeit, Reinhart von

Musik war für ihn mehr als nur ein Forschungsgegenstand

Zum Tod von Hans Günther Bastian

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 5/2011 , Seite 42

Am 11. Juli 2011 ist Hans Günther Bastian bei einem tragischen Autounfall ums Leben gekommen. Es war ein Schock für seine Familie, für seine Freunde und die Welt der Musikpädagogik, die ihm viele Impulse verdankt und deren in der Öffentlichkeit bekanntester Vertreter Bastian war.
Kaum ein Musikpädagoge im deutschen Sprachraum hat neben der mit großem Ernst und hohem Anspruch versehenen Lehrtätigkeit (u. a. in Bonn, Paderborn und an der Goethe-Universität Frankfurt am Main) so viel geforscht und veröffentlicht wie Hans Günther Bastian. Kein anderer hat mit seiner Arbeit eine so hohe Wirksamkeit und Bekannt­heit erreichen können. Seine Forschungsthesen und -resultate wurden nicht nur in den Fachmedien behandelt, sondern fanden den Weg ins Feuilleton und gelegentlich auch auf die Seite 1 der wichtigen Tageszeitungen.
Bastian strebte danach, der zumindest bei Musikern verbreiteten kollektiven Grundüberzeugung, dass die Musik bei der Entwicklung junger Menschen, der Entfaltung ihrer Fähigkeiten und ihrer Persönlichkeit eine große Rolle spielen kann, eine fundiertere Grundlage zu geben. Mit großem Aufwand untersuchte er, ob sich die vermuteten positiven Wirkungen der Beschäftigung mit Musik empirisch belegen lassen, und es gelang ihm, diesem Thema nicht nur mediale, sondern auch hohe politische Aufmerksamkeit zu verschaffen.
Wie oft war im politischen Grußwort bei allen möglichen musikalischen Anlässen von der Studie und den Thesen des Professor Bas­tian die Rede! Er selbst freute sich über diese nicht erwartete Resonanz, die doch einem starken Desiderat der Musikpädagogik entsprach, und war erstaunt und betrübt, dass es gerade die musikpädagogische Szene war, die Einwände erhob und die Ergebnisse der Studie infrage stellte. Betrübt vor allem, weil die Diskussion von einem großen Missverständnis beherrscht wurde. Denn nichts lag Bastian so fern wie die ihm unterstellte Absicht, die Beschäftigung mit Musik im Allgemeinen, die Verstärkung des Schulfachs im Besonderen vor allem mit möglichen Transfereffekten zu begründen.
Die Untersuchung der Wirkungen eines intensiveren Musikunterrichts in der Grundschule war nur das eine große Thema seines Forscherlebens. Ging es dabei um ein ori­ginäres Thema der musikalischen Breiten­arbeit, so lag sein zweites Forschungsgebiet am anderen musikpädagogischen Pol: die Entwicklung von Spitzenbegabungen. Mit emphatisch geführten Interviews ging er den Lebensläufen besonders talentierter, besonders engagierter und besonders geförderter junger KünstlerInnen nach, schloss die an den Karriere-Träumen in mehrfacher Hinsicht stark beteiligte Umgebung mit ein und verfolgte die Entwicklung als engagierter Be­obachter über einen langen Zeitraum. Dass musikalische Hochbegabungen nicht nur als „Göttergeschenk“ betrachtet werden, sondern auch als verantwortungsvoller, nicht immer ungefährlicher Auftrag an Eltern und Pädagogen; dass Hochschulen und Musikschulen für herausragende Talente besondere Programme erarbeiten und ihnen heute mehr anbieten als guten Hauptfachunterricht, ist auch eine Folge des fokussierten Blicks, den Bastian Jahrzehnte lang auf das Feld der Hochbegabten gerichtet hat.
Hans Günther Bastian war ein geschliffener Formulierer und ein brillanter Redner. Er liebte die Zuspitzung, manchmal auch die Provokation. Als die Bildungsministerin Edelgard Bulmahn eine 80 Millionen teure Initiative forderte, um jedem Kind im Rahmen der Schule einen eigenen Laptop zur Verfügung zu stellen, ersetzte er den Laptop (Jahre vor JeKi!) kurzerhand durch ein Musikinstrument und kommentierte liebevoll-ironisch die selbst verfasste, „gefakte“ Pressemitteilung.
Hans Günther Bastian war eine herausragende, vielschichtige Persönlichkeit. Ein Intellektueller, auch in seinem Auftreten, nicht alltäglich in der Musik-Welt. Ein Homo politicus, der seine Themen geschickt und erfolgreich medial zu inszenieren verstand. Aber auch ein Musicus, der das Orgelspiel lebenslang mit Hingabe pflegte (Bastian hatte neben Musikwissenschaft, Schulmusik und Mathematik auch Katholische Theologie studiert), der regelmäßig Konzerte als anteilnehmender Zuhörer besuchte. Bei der Trauerfeier in Salzburg erklang ein von Hans Günther Bas­tian komponiertes Chorwerk und jeder, dem nur der Wissenschaftler Hans Günther Bas­tian vertraut war, konnte spüren, dass die Musik für diesen Mann sehr viel mehr gewesen ist als „nur“ ein wichtiger Forschungsgegenstand.

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