Stippler, Renate

Musikalische ­Früherziehung

Entwicklungen und Aspekte eines Fachs im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2011
erschienen in: üben & musizieren 3/2012 , Seite 56

Was Musikalische Früherziehung ist, meinen viele Menschen zu wissen. Einerseits aus dem eigenen Erlebnis als Kind (erste Kurse wurden Ende der 1960er Jahre angeboten), andererseits als Unterrichtende mit teilweise jahrzehntelanger Erfahrung. An den Musikhochschulen werden seit den 1990er Jahren zunehmend Fachkräfte für den Bereich Elementare Musikpädagogik ausgebildet. Wie hat sich aber die musikalische Frühförderung von Kindern ab vier Jahren entwickelt? Welche Zusammenhänge lassen sich zur allgemeinen Musikpädagogik und zu bildungs- und kulturpolitischen Zeitströmungen ausmachen? Welche ­inhaltlichen und didaktisch-methodischen Aspekte standen im Verlauf der Entwicklung im Vordergrund? Wie sind Veränderungen erklärbar?
Diesen und weiteren Fragestellungen widmet sich die vorliegende Studie von Renate Stippler mit Akribie und Sachverstand. Sie teilt die Entwicklung in vier Dekaden ein und führt zu den 60er, 70er, 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts nach einer bildungspolitischen Sondierung ausführlich in die zentralen Unterrichtskonzepte ein, die die jeweiligen Dekaden hervorbrachten. Da die meisten Veröffentlichungen zur Musikalischen Früherziehung vor allem aus der Praxis und für die Praxis entstanden sind, beschränken sie sich zumeist auf didaktische Aspekte. Es fehlt an wissenschaftlich orientierten und strukturierten Arbeiten, die der Bedeutung des Fachs für die Entwicklung von Kindern in aller Breite gerecht zu werden vermögen. Hier bietet Stipplers Studie detailliert dargestellte Informationen sowie schlüssig reflektierte pädagogisch-psychologi­sche wie gesellschaftspolitische Ausführungen.
Jeder Dekade sind spezifische Exkurse zugeordnet, die neben der Breite die Tiefe der Materie auszuloten verstehen: Da geht es um Kreativität und Fantasie bei Vorschulkindern, um die Bedeutung des Spiels, um Erkenntnisse der Hirnforschung und schließlich um Motorik und Sensorik, wobei Stippler einen Bogen von Montessori über Ayres bis Renate Zimmer schlägt.
Das Thema der Studie ist systematisch wie historisch betrachtet sehr vielschichtig und wird daher von ihr multikausal bedacht. Dennoch ist es verständlich, wenn manche Tatbestände und Begrifflichkeiten nur angedeutet sind und auf weiterführende Literatur verwiesen wird. So wird nicht näher eingegangen auf die inhaltlichen wie methodischen Hauptquellen der Musikalischen Früherziehung, der Rhythmisch-musikalischen Erziehung bzw. Rhythmik und der Elementaren Musik- und Bewegungs-/Tanzpädagogik des Orff-Schulwerks. Aber das hätte auch zu weit geführt und die entsprechende Literatur liegt ja vor. Der Studie von Renate Stippler ist in jedem Fall eine weite Verbreitung in der Fachwelt zu wünschen.
Manuela Widmer