Herbst, Sebastian

Musikalische Verbindungen

Gespräch über UAMusic, eine Plattform zur Unterstützung ukrainischer MusikerInnen

Rubrik: Gespräch
erschienen in: üben & musizieren 2/2023 , Seite 40

Oleh Kurochkin, Masterstudent Konzertfach (Essen), Stimmführer im Rundfunksinfonieorchester Berlin sowie Akademist der Karajan-Akademie Berlin, und Sebastian Riegelbauer, Gründer von Sirius Music Communications, haben die Plattform UAMusic zur Unterstützung von aus der Ukraine geflohenen Musi­kerInnen eingerichtet.

Lieber Herr Kurochkin, lieber Herr Riegelbauer: Was ist die Idee der Plattform und wie ist sie entstanden?
Kurochkin: Ich bin auf der Krim geboren und 2014 aufgrund des russischen Angriffs zum Studium nach Deutschland gekommen, da ich keine Sicherheit und keine musikalische Zukunft in meinem Land finden konnte. Mit dem Kriegsbeginn 2022 habe ich viele Anfragen erhalten – Unterstützungsanfragen von MusikerInnen, aber auch viele Unterstützungsangebote. Wir haben dann überlegt, was wir tun und leisten können, um die Hilfesuchenden und die Hilfeanbietenden zusammenzubringen. Entstanden ist das Projekt UAMusic.
Riegelbauer: Ich habe lange Klavier gespielt. Zwar habe ich mich nicht für den Musikerberuf entschieden, sondern Robotics und KI studiert, bringe aber heute mein technisches Know-how im Kontext der Musikbranche ein. Als Oleh mir von den vielen Anfragen berichtet hat, wollte ich gerne mithelfen. So entstand die Idee zur webbasierten Plattform UAMusic mit dem Ziel, aus der Ukraine geflohenen MusikerInnen möglichst schnell zu helfen, weiterhin Musik machen zu können. Dabei haben wir Sprachbarrieren berücksichtigt und kein Forum erstellt, in dem sich MusikerInnen und AnbieterInnen selbst vernetzen. Besser war eine Plattform, in der sich die MusikerInnen in einem geschützten Raum eintragen können und unser Team die Vermittlung übernimmt. Das hat zudem die vorherige Prüfung von Angeboten ermöglicht, um das Ausnutzen ukrainischer MusikerInnen in ihrer Notlage zu vermeiden.

Wie unterstützen Sie ukrainische MusikerInnen und MusikpädagogInnen konkret?
Kurochkin: Natürlich brauchen Menschen, die unter solchen Umständen in ein anderes Land kommen, zunächst alles. Wir haben uns auf die musikbezogenen Bedarfe konzentriert: Wo kann man Musik studieren? Wo kann man Konzerte spielen? Kann ich ein Leihinstrument bekommen? Wir haben Benefizkonzerte organisiert und Aushilfstätigkeiten bei staatlichen Orchestern vermittelt.
Mit Blick auf die Vermittlung von MusikpädagogInnen war der Bedarf bis jetzt nicht so groß. Manche MusikpädagogInnen konnte ich über private Kontakte an Musikschulen unterbringen. Und auch Schü­lerInnen konnten wir zum Teil an Musikschulen und Musikhochschulen vermitteln. Nicht alle Musikhochschulen hatten allerdings spontan freie Plätze in ihren Jugendförderprogrammen. Einige Hochschulen hatten dann nach einiger Zeit eigene Projekte zur Unterstützung. Eine Herausforderung bei der Vermittlung von SchülerInnen ist es, Lehrende zu finden, die nicht ausschließlich auf Deutsch unterrichten.

Wie hoch ist der Bedarf und wie verarbeiten Sie die Anfragen?
Riegelbauer: In den vergangenen paar Monaten haben wir weniger neue Anfragen, aber es kommen weiterhin regelmäßig Anfragen rein. In den ersten Monaten hatten wir hingegen mehr als 300 Anfragen von MusikerInnen, die häufig über persönliche Kontakte von Oleh, aber auch über die Webseite zustande gekommen sind. Die daraus erstellte Liste von MusikerInnen haben wir zur Vermittlung gezielt an Profi­orchester und weitere VeranstalterInnen in ganz Deutschland weitergegeben. Das hat sehr nachhaltig funktioniert, beispielsweise sind zwei GeigerInnen, die sich in Aushilfstätigkeiten bewährt haben, weiterhin für ein Staatstheater aktiv. Mittlerweile sind einige MusikerInnen schon eine ganze Weile in Deutschland und haben auch eigene Kontakte geknüpft.
Kurochkin: Zu Beginn haben meine Freundin – eine ebenfalls aus der Ukraine stammende Geigerin –, eine befreundete ukrainische Pianistin aus Brüssel und ich die Anfragen bearbeitet – später mit weiteren Personen. Dazu gehört das Sichten eingereichter Aufnahmen und personenbezogener Angaben zur musikbezogenen Ausbildung und zum aktuellen Wohnort in Deutschland. Hinzu kommen Anfragen, die sich außerhalb des Ziels von UAMusic bewegen. So habe ich z. B. die Geschichte einer Frau gelesen, die mit drei Kindern fünf Tage lang zu Fuß unterwegs war. Wie unser musikbezogenes Projekt hier helfen konnte, war zunächst unklar, sodass Telefonate notwendig waren, um den Unterstützungsbedarf zu besprechen.

Aus welchen Mitteln finanzieren Sie das Projekt?
Kurochkin: Natürlich geht es nicht ganz ohne finanzielle Mittel, da die Infrastruktur wie Server für die Webseite bezahlt werden müssen. Aber die Idee war nie, dass wir auf die eine oder andere Art dafür vergütet werden wollten. Da ich viele Kontakte, FreundInnen und KollegInnen aus der Ukraine habe, ist mir die Arbeit im Projekt ein persönliches Anliegen. Durch meine Unterstützung konnte und kann ich von Deutschland aus helfen.
Riegelbauer: Oleh hat wirklich extrem viel Zeit in das Projekt gesteckt, die man in dem Maße gar nicht so vergüten könnte. Natürlich hat auch die Entwicklung der Plattform Zeit gekostet. Wir und die weiteren UnterstützerInnen des Projekts machen das aber ehrenamtlich. Da das Projekt momentan nicht größer wird, brauchen wir noch keine Personen, die sich bezahlt um die Anfragen kümmern. Wir sind aber gespannt, wie es im Kontext einer zweiten und dritten Welle von Flüchtenden aussieht.

Gibt es besondere Herausforderungen bei der Vermittlung von ukrainischen MusikerInnen und MusikpädagogInnen?
Kurochkin: Da wir die Anfragen manuell bearbeiten, können wir bei Sprachbarrieren vermitteln. Aufgrund unserer Erfahrungen und Sprachkenntnisse können wir z. B. bestätigen, ob jemand hochqualifiziert ist und lediglich kein Englisch spricht. Wir können zudem vermeiden, dass MusikerInnen zu Orchestern kommen, in denen diese Sprachbarriere eine unüberwindbare Hürde darstellen würde. Lösungen wurden z. B. durch geteilte Pulte mit MusikerInnen gefunden, die ukrainisch sprechen können. Allerdings stand immer die musikbezogene Qualität im Vordergrund, denn im Grunde sind Orchester an Gäste aus verschiedenen Ländern gewohnt.
Die Vermittlung von Musikschullehrenden ist bedeutend schwerer, da die Sprachbarriere hier eine deutlich größere Rolle spielt. Viele der älteren Lehrkräfte kommen aus einer Generation, die kein oder kaum Englisch gelernt habt. Chancen bestehen hauptsächlich mit Blick auf einen Unterricht für ukrainisch-sprechende SchülerInnen. MusikschulleiterInnen, die finanzielle Mittel speziell für Unterrichtsangebote für ukrainische Geflüchtete bekommen haben, erzählten mir aber auch, dass sie diese wieder zurückgeben mussten, weil sie weder passende LehrerInnen noch SchülerInnen gefunden haben. Hier scheint mir, dass künftig Kooperationen mit allgemeinbildenden Schulen sehr wichtig sind.

Ihre Aktivitäten fokussieren zurzeit eine berufsorientierte Zielgruppe. Gibt es Überlegungen, die Zielgruppe zukünftig auch explizit auf SchülerInnen zu erweitern? Und welche weiteren Perspektiven sehen Sie für 2023?
Riegelbauer: Wir sind mit den Musikschulen und Verbänden eng im Gespräch, denen ich unsere Plattform auch immer wieder präsentiert habe. Im Rahmen dieser Präsentationen oder in anderen Workshops für Lehrende wurde eine große Hilfsbereitschaft deutlich. Allerdings mangelt es bislang noch an Anfragen von potenziellen SchülerInnen.
Kurochkin: Sollte es im Winter aufgrund der Energieversorgung eine zweite bzw. dritte Welle von Geflüchteten gegeben haben, werden wir die Plattform wieder verstärkt auf dem Laufenden halten und bedarfsgerecht neue Möglichkeiten aufsetzen – sicher auch in Bezug auf den Musikunterricht. Zurzeit sind die Eltern über das Jobcenter in Integrationskursen und die Kinder besuchen intensiv Deutschkurse. Da bleibt wenig Zeit und Energie für Musikunterricht. Die Sprachkurse dauern normalerweise sechs bis neun Monate, sodass die ersten Personen diese mittlerweile abschließen. Erst jetzt beginnt der Zeitpunkt, sich intensiver um andere Interessen kümmern zu können. Wir müssen also beobachten, wie sich das entwickelt. Es bleibt jedoch das Problem, dass viele Großstädte nicht ausreichend Wohnungen für Geflüchtete anbieten können und die Menschen in kleineren Dörfern ohne Musikschule untergebracht werden.

Wie können andere Personen Ihr Projekt künftig unterstützen?
Kurochkin: Man kann uns vor allem durch konkrete Angebote unterstützen, die wir vermitteln können. Wer also ein Projekt oder Konzert organisiert und Bedarf an MusikerInnen hat, kann sich gerne bei uns melden.
Riegelbauer: Absolut. Wir hatten über 400 Anfragen von MusikerInnen, allerdings neben unseren persönlichen Kontakten nur ca. 25 Angebote, zu denen wir vermitteln konnten. Neue Angebote in jeglicher Form, z. B. für Orchestertätigkeiten, Studienangebote von Hochschulen oder Musikschulunterricht, sind also sehr hilfreich. Das können längerfristige Angebote sein, aber auch Projekte, die nur eine bestimmte Zeit laufen. Wir merken, dass die Zahl der Anfragen wieder steigt. Und die Integration fängt erst jetzt richtig an.

www.uamusic.de

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