Vogt, Jürgen / Frauke Heß / Christian Rolle (Hg.)

Musikpädagogik und Heterogenität

Sitzungsbericht 2011 der Wissenschaftlichen Sozietät Musikpädagogik

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Lit, Münster 2012
erschienen in: üben & musizieren 1/2013 , Seite 54

Wenn wir Musikpädagogen mit Gruppen zu tun haben, kommen wir nicht umhin, uns mal die Homogenitätsbrille aufzusetzen und mal die Heterogenitätsbrille. Wir werden einerseits das in den Blick nehmen, was die einzelnen Gruppenmitglieder verbindet, was ihnen gemeinsam ist, in welchem Sinne das jeweilige soziale Gebilde also als eher homogen anzusehen ist. Andererseits werden wir unter bestimmten Aspekten erkennen, wie verschieden die Individuen sind, was sie voneinander unterscheidet, worin sie also eher heterogen sind. Von entscheidender Bedeutung für unser Handeln ist das Bewusstsein dafür, dass wir so oder so eine Brille aufhaben und also jeweils bestimmte Aspekte, Kriterien oder Kategorien in den Blick nehmen, z. B. Alter, Geschlecht, Gesundheit/Körperlichkeit (gegebenenfalls Behinderung), Leistung, Sprache, Begabung, Herkunft bzw. Ethnizität, Religionszugehörigkeit.
Es geht im vorliegenden Buch um alte pädagogische Fragestellungen; interessant ist, dass „Heterogenität“ ein so aktuelles Thema geworden ist. Das System Schule erscheint von Hause aus allzu stark auf Homogenität ausgerichtet; es operiert mit dem Bild eines Durchschnittsschülers; Wissen, Fertigkeiten, Lernaktivitäten, Interessen werden möglichst auf mittlere Maße zugeschnitten; Bildungsstandards, überregionale Tests, Zentralabitur usw. versuchen immer neu, den Charakter der Homogenität abzusichern.
Ein solches System wurde immer schon und wird erst recht heutzutage als zu wenig konstruktiv im Sinne produktiven Lernens erkannt. Gerade um die Besonderheiten der Einzelnen sollte es gehen, um die Vielfalt, von der eine Gruppe geprägt wird, ihre Heterogenität sollte also stärker berücksichtigt werden. So plädiert vor allem Thomas Ott hier, ganz ähnlich wie bereits zuvor in anderen Publikationen, für eine „De-Homogenisierung“ und für das häufigere Aufsetzen der Heterogenitätsbrille. Der „Eigensinn“ des jeweils Besonderen sollte in den Mittelpunkt auch des Musikunterrichts gestellt werden. Dass dies, praktisch gesehen, nicht so ganz unproblematisch ist, liegt auf der Hand; vor allem Martin Stroh hat (in Diskussion Musikpädagogik Nr. 55) darauf hingewiesen.
Interessant, dass die Texte dort, wo sie auf hohem Abstraktionsniveau theoretisch argumentieren und stark den historischen Horizont einbeziehen (besonders Jürgen Vogt und Markus Brenk), besonders einleuchtend und gedanklich anregend wirken. Unterrichtspraktische Konsequenzen müssen auf einem anderen Blatt stehen.
Das Buch enthält eine Reihe von Beiträgen, die zwar je auf ihre Weise interessant sind, aber nicht oder nur sehr bedingt mit dem Thema zu tun haben. Alles in allem bietet uns die Publika­tion aber eine gute Möglichkeit, an den Überlegungen der Mitglie­der der Wissenschaftlichen Sozie­tät Musikpädagogik teilzuhaben.
Franz Niermann