Mettler, Bernhard

Musikschule – Spiel­räume kennen lernen!

Zur Identität der öffentlichen Musikschulen

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 1/2012 , Seite 48

In Ausgabe 4/2011 zum Thema “Musikschule – quo vadis?” wurden Zukunftsperspektiven für die Musikschulen aufgezeigt. Nach dem Diskussionsbeitrag von Robert Wagner in der vergangenen Aus­­gabe fragt Bernhard Mettler nach der Identität der öffentlichen Musikschulen und möchte Spielräume für Entwicklungen aufspüren.

Die öffentlichen Musikschulen werden als „außerschulische Bildungseinrichtungen“ be­zeichnet.1 Somit ist die Musikschule eine außerschulische Schule. Sie ergänzt den innerschulischen Unterricht, die Schulmusik, im Bereich der Musikpraxis. Es ist offensichtlich, dass der produktive, reproduktive und transpositorische Umgang mit Musik für die musikalische Bildung eine entscheidende Bedeutung hat. Die Einsicht, dass es für ­diesen Bereich eine spezialisierte Bildungs­einrichtung braucht, hat sich erst ab 1960 flächendeckend durchgesetzt.
Entstanden ist eine beeindruckende Vielfalt. In Österreich ist von einem „bunten Nebeneinander verschiedener Strukturen“ die Rede,2 in der Schweiz scheint es kaum möglich, eine Musikschulstatistik zu erstellen, und an der EMU-Tagung 2011 ist laut Bericht der deutschsprachigen Arbeitsgruppe keine SWOT-Analyse3 möglich – wegen der zu bunten Vielfalt.4 Ob unter „bunt“ hier eher Beliebigkeit oder bewusst gestaltete Vielfalt zu verstehen ist, sei dahingestellt.

Typologie der ­Musikschulen

Um die beschriebene bunte Vielfalt etwas zu ordnen, entwerfe ich eine vereinfachende ­Typologie der existierenden öffentlichen Musikschulen:
Typus 1 besteht hauptsächlich aus Unterrichtsräumen und einem Sekretariat, in dem eine Sekretärin den Laden schmeißt. Geleitet wird diese Musikschule von einem meist abwesenden Künstler. An dieser Schule zu unterrichten heißt für die Lehrpersonen, in Ruhe gelassen zu werden, so lange man es sich mit der Sekretärin nicht verdirbt. Organisa­tionstheoretisch könnte man diese Schule als lose Koppelung von PrivatmusiklehrerInnen bezeichnen.
Typus 2 erkennt man an der Dominanz von Begriffen wie Qualität, Strategie und Entwicklung. Diese Schule wird von einem Manager-Ingenieur geleitet. Für die Lehrpersonen heißt dies, sich ständig in einem Prozess zu befinden – und damit tun sich viele Künstler-Pädagogen erfahrungsgemäß schwer.
Typus 3 umfasst Musikschulen, die sich als „lernende Organisation“ verstehen, wobei sich das Lernen bei Musikschulen hauptsächlich auf den musikpädagogischen Bereich beziehen sollte. Geleitet wird diese Schule von einer Pädagogin. An dieser Schule glaubt man daran, dass die Reflexion von Unterricht positive Auswirkungen hat, ja überhaupt, dass Instrumental- und Gesangsunterricht nicht nur auf dem pädagogischen Genie der Lehrpersonen, sondern auch auf deren Aus- und Weiterbildung aufbaut.
In der heutigen Praxis gibt es wohl vor allem eine Vielfalt von Hybridformen dieser drei ­Typen, hoffentlich mit einer zunehmenden Bedeutung des musikpädagogischen Elements. Für die Leitung einer Musikschule wird dann jeweils ein hybrides Subjekt gesucht, das diese drei Aspekte irgendwie in sich vereint.

1 Sigrid Abel-Struth: Grundriss der Musikpädagogik, Mainz 22005, S. 453.
2 Franz-Otto Hofecker: „Das Musikschulwesen und die Musikschulforschung in Österreich“, in: Thomas Knubben/Petra Schneidewind (Hg.): Zukunft für Musikschulen, Bielefeld 2007, S. 262.
3 Die SWOT-Analyse – engl. Akronym für Strengths (Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (Chancen) und Threats (Bedrohungen) – ist ein Instrument der strategischen Planung; sie dient der Positionsbestimmung und der Strategieentwicklung von Unternehmen und anderen Organisationen (Quelle: Wikipedia).
4 www.musicschoolunion.eu/fileadmin/downloads/ events/GA_2011/Report_of_the_german_speaking_ group_11.pdf

Lesen Sie weiter in Ausgabe 1/2012.