Behschnitt, Rüdiger

Musizieren beginnt schon mit nur einem Ton

Vom schwierigen Umgang mit großen Gruppen und der Frage nach der Qualität von Klassenunterricht. Im Gespräch mit Andreas Doerne, Reinhart von Gutzeit, Ulrich Mahlert und Wolfgang Rüdiger

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 2/2012 , Seite 14

Wenn man die Diskussionen zu JeKi – vor allem im Internet – verfolgt, so werden diese mit einer Heftigkeit und Polemik geführt, wie es im Bereich Instrumentalpädagogik eher unüblich ist. Lässt man organisatorische und kulturpolitische Frage­stellungen beiseite, so fällt auf, dass über methodisch-didaktische Probleme kaum gestritten wird. Falls doch, so ist in vielen Äußerungen eine tiefgehende Verunsicherung der Lehr­kräfte zu spüren. Rüdiger Behschnitt hat für “üben & musizieren” einige der Äußerungen mit den Redaktionsmitgliedern diskutiert.

üben & musizieren: „Stellt euch […] bitte einmal vor, ihr solltet in ­einem 2. Schuljahr 10 Kinder[n] gleichzeitig Blockflöte nahebringen… einfach mal vorstellen…“ So ist in einer der zahlreichen Online-Diskussionen zum Streitthema JeKi zu lesen. Weshalb fällt es vielen Inst­rumentallehrkräften offenbar schwer, sich das vorzustellen, geschweige denn zu unterrichten?
Reinhart von Gutzeit: Da spielt manches zusammen. Gruppenunterricht wird von vielen mit großer Skepsis betrachtet – daran hat sich seit Jahrzehnten nichts geändert. In meinen Augen hat die Aversion weniger mit musikpädagogischen Aspekten als vielmehr mit dem Prestige des Gruppenunterrichts zu tun. Einzelunterricht wird mit Musikhochschule assoziiert, Gruppenunterricht mit Kinderbetreuung. Die Blockflöte hat ein zusätzliches Handicap: Dem Instrument wird wenig Respekt entgegengebracht; jedes Kind, das die Flöte in die Hand bekommt, fühlt sich bemüßigt, sofort hineinzublasen, und bekommt auch problemlos einen Ton heraus. Dies mal zehn: Damit muss die Lehrperson erst einmal fertig werden!
Wolfgang Rüdiger: Ich glaube, das fällt vor allem jenen Lehrkräften so schwer, die in Studium und Beruf wenig Erfahrung mit Improvisation, musikalischen Gruppenspielen, kreativem Umgang mit Liedern, notenfreiem Musizieren und Musiklernen etc. gemacht haben und in der neueren Didaktik des Anfangs- und (Groß-)Gruppenunterrichts nicht bewandert sind. Das ist heute anders, das lernen Studierende im Inst­rumentalpädagogikstudium.
Ulrich Mahlert: Und wenn man es nie erlebt hat, wie es methodisch geschickt gemacht werden könnte, ist einem die Vorstellung zunächst wahrscheinlich nicht geheuer. Beobachten und Lernen bei versierten Lehrkräften löst nach meiner Erfahrung Tabu-Vorstellungen und Ängste häufig schnell auf. Hospitationen regen dazu an, es selbst mal in ähnlicher Weise oder auch anders zu probieren.

üben & musizieren: „Es muss ganz klar kommuniziert werden, dass JeKi ein Schnupperkurs oder auch ein soziales Projekt ist. Wer tiefere Kenntnisse erzielen will, muss an eine Musikschule.“ (Online-Kommentar) Lassen sich denn im Klassenunterricht keine tieferen musikalischen und instrumentaltechnischen Kenntnisse erzielen?
Ulrich Mahlert: Doch. Auch in einer größeren Gruppe lässt sich mit einfachsten musikalischen Elementen, schon mit einem einzigen Ton, ja schon vor dem Instrumentalspiel mit dem „Spiel“ von Ein- und Ausatmen differenziert Musik machen und intensiv gemeinsam üben.
Wolfgang Rüdiger: Was sind denn „tiefere musikalische und instrumentaltechnische Kenntnisse“? Die Gestaltung eines einzelnen Tons – wie Ulrich Mahlert erwähnt – zusammen mit anderen vermittelt ein so tolles Erlebnis eines satten, vollen Klangs und die Erfahrung der wichtigen Rolle, die man dabei spielt, dass das schon ganz tiefe musika­lische „Kenntnisse“ sind, von sich, vom anderen, von der Musik.
Reinhart von Gutzeit: Und wir kennen ja auch seit längerer Zeit Klassenunterrichtsmodelle, etwa die Rolland-Methode, die auf differenziertes Instrumentalspiel abzielen und dabei erfolgreich sind – wenn auch in einem begrenzten Rahmen. JeKi steht jedoch im Ruf, sich auf elementare musikalische Erfahrungen zu konzentrieren und sich im instrumentalen Feld mit rudimentären Fortschritten zu begnügen („Ein Jahr mit vier Tönen“). Ist dieser Eindruck falsch? Ich weiß es nicht…

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2012.