Herbst, Sebastian

Musizierlern-Apps

Der Kommentar

Rubrik: Kommentar
erschienen in: üben & musizieren 1/2020 , Seite 37

Digitale Freizeitaktivitäten gewinnen laut der Shell Jugendstudie 2019 weiterhin an Bedeutung. Dies zeigt sich beispielsweise im Rahmen der vorgenommenen Freizeit-Typologie, in der die Gruppe der Medienfokussierten mit 37 Prozent die größte Gruppe bildet. Smartphones und Tablets sind dabei wichtige Begleiter für Jugend­liche. 70 Prozent der Befragten gaben an, dass sie ihr Smartphone nutzen, um ins Internet zu gehen, wo sie laut Selbsteinschätzung im Durchschnitt erstaunliche 3,7 Stunden pro Tag verweilen. Dabei wird das Smartphone jedoch nicht nur als Unterhaltungsmedium für z. B. Musik, Video­streaming und Games eingesetzt. Neben der Nutzung zu Kommunikationszwecken (96 Prozent) nutzen immerhin 71 Prozent ihr Smartphone mindestens einmal täglich für die Suche nach Informationen. Im qualitativen Teil der Studie gaben die Befragten an, im Durchschnitt sogar vier- bis fünfmal täglich zu googeln, um eine Antwort auf eine spontan auftauchende Frage zu finden.
Über die Verwendung von Smartphones und Tablets für musikbezogene Zwecke, die über die Nutzung von Streamingdiensten hinausgeht, liefert die Studie keine Ergebnisse. Es lässt sich jedoch vermuten, dass diese Art von Nutzung bei musikalisch aktiven Jugendlichen ebenfalls etabliert ist. In der Studie „Jugend und Musik“ der Bertelsmann Stiftung (2017) nehmen die Autorinnen und Autoren beispielsweise an, dass Plattformen wie YouTube mit ihren Online-Tutorials einen wichtigen Faktor für musikalisch aktive Jugendliche darstellen, die keinen Musizierunterricht erhalten bzw. ihr Instrument im Rahmen informeller Praxen erlernen.
Nicht unwahrscheinlich ist es also, dass jeder Jugendliche, der ein Smartphone oder Tablet besitzt und darüber hinaus in irgendeiner Form musikalisch aktiv ist, auch eine Musik-App auf seinem Gerät installiert hat. Dazu zählen beispielsweise Apps zum Abspielen von Musik, Apps zur Musikproduktion, Instrumenten-Apps oder Hilfsmittel-Apps wie Stimmgerät oder Metronom. Und auch für das musikalische Lernen halten die diversen App-Stores Musiklern-Apps in unterschiedlichster Qualität bereit. Hinzu kommen die bereits erwähnten Apps der Videoplattformen, die je nach Instrument zum Teil unzählige Tutorials bereithalten, in denen das Spielen eines Songs gezeigt oder eine bestimmte Spieltechnik auf einem Instrument erläutert wird.
Verwunderlich erscheint jedoch die Tatsache, dass jedes Jahr einige neue Lehrwerke für den Instrumentalunterricht als Printmedium erscheinen, in denen Apps maximal als Zusatzmedium zur Bereitstellung von Playbacks oder Ähnlichem eingesetzt werden. Das Potenzial einer didaktisch fundierten App für den musizierpädagogischen Einsatz samt einer systematischen digitalen Notenbibliothek, audiovisuellen Features sowie interaktiven Arbeitsbereichen wird von den Verlagen und ihren Autorinnen und Autoren zurzeit eher selten genutzt. Die Gründe dafür sind vielfältig – häufig aber vor allem ökonomischer Natur. Das ausschließliche Übertragen von Inhalten aus Printmedien und CDs in eine digitale Form lässt aber die vielfältigen zusätzlichen Möglichkeiten von Apps ungenutzt und besticht höchstens durch die kompakte Form und omnipräsente Verfügbarkeit des Materials.
Umso erfreulicher ist es, dass 2019 im hochschulinternen Wettbewerb „Unternehmen: Musik“ der Hochschule für Musik Detmold, dessen Idee die Verbindung von musikalischer Fachkompetenz mit unternehmerischem Denken und Handeln ist, der erste und zweite Preis an EntwicklerInnen von Musik-Apps ging. Insgesamt standen 17000 Euro für wettbewerbsfähige Projekte mit unternehmerischem Potenzial zur Verfügung. Den ersten Preis von 7000 Euro erhielt die App-Entwicklerin Aurelia Georgiou für die Idee einer App, deren täglicher Einsatz in musizierpädagogischen Kontexten sich sofort erschließt. Mit ihrer App „Üben mit Köpfchen“ richtet sie sich an Instrumentallehrende und ihre SchülerInnen sowie an Eltern mit dem Ziel, das analoge Hausaufgabenheft durch eine digitale Lernplattform zu ersetzen, in der neben Aufgaben im Medium der Schriftsprache auch audiovisuelle Features hinzutreten können. Der zweite Preis über 5000 Euro ging an den Entwickler Quoc Duong Bui mit seiner App „Scrbblr“. Nach einer umfangreichen Konkurrenzanalyse entwickelte er eine Noten-App, in der eine nutzerfreundliche Abbildung der Notentexte unter Berücksichtigung aller Besonderheiten möglich sein soll.
Es bleibt spannend, inwiefern die studentischen GewinnerInnen ihre Apps nicht zuletzt mithilfe des Preisgelds weiterentwickeln, mit kooperierenden Lehrenden und SchülerInnen im musizierpädagogischen Alltag – eventuell unter wissenschaftlicher Begleitung – testen und schließlich vermarkten. Die EntwicklerInnen der Apps werden uns ihre Ideen in den kommenden Ausgaben vorstellen.