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Herbst, Sebastian

Nachwuchsfragen

Nachwuchsakquise für künstlerisch-pädagogische Studiengänge und Berufe – Wolfhagen Sobirey, Stefan Goeritz und Heinz Geuen im Gespräch

Rubrik: Kulturpolitik
erschienen in: üben & musizieren 6/2021 , Seite 50

In Ausgabe 5/2021 führt Wolfhagen Sobirey Gründe an, die aus seiner Sicht zu einem Mangel an qualifizierten BewerberInnen an Musikschulen führen. Wie die Zahl  pädagogisch qualifizierter und für das Unterrichten begeisterter MusikerInnen gesteigert werden könnte, diskutiert Sebastian Herbst im Gespräch mit Wolfhagen Sobirey (ehemaliger Direktor der Staatlichen Jugendmusikschule Hamburg), Stefan Goeritz (Gitarrist und Leiter der Musikschule Waldkirch) und Heinz Geuen (ehemaliger Rektor der Hochschule für Musik und Theater Köln).

Lieber Herr Geuen, Wolfhagen Sobirey beklagt eine zu geringe Anzahl Studierender in künstlerisch-pädagogischen Studiengängen. Wie sehen Sie die Situation?
Heinz Geuen: Zunächst einmal ist die Situation an den Hochschulen unterschiedlich. Die Gründe für die scheinbar geringere Attraktivität künstlerisch-pädagogischer Studiengänge sind vielfältig und liegen nicht nur im überkommenen Ranking zwischen einer vermeintlich höherwertigen künstlerischen Ausbildung im Vergleich zum pädagogischen Studium. Die Gründe liegen zumindest gleichwertig auch in negativen Erwartungen und Befürchtungen, die Studieninteressierte in Bezug auf das Berufsfeld von Lehrerinnen und Lehrern an Musikschulen hegen. Wolfhagen Sobirey hat in der vergangenen Ausgabe die unterwertige Bezahlung der Festangestellten und die prekäre Situation von Honorarkräften angesprochen. Nicht wenige grundsätzlich für den Musikschullehrerberuf zu begeisternde junge Menschen werden schon dadurch abgeschreckt und flüchten ganz oft nicht etwa in ein künstlerisches Studium, sondern in attraktivere musikferne Studiengänge, um die Musik dann nebenbei zu betreiben. Hinzu kommen Überforderungsängste in Bezug auf Gruppenunterricht oder auf die Arbeit in sozialen Brennpunktbereichen. Darauf muss das Studium an den Hochschulen in der Tat noch besser vorbereiten.
Hier braucht es auch eine systematische und hochwertige, idealerweise mit den Hochschulen verzahnte Fort- und Weiterbildung im Sinne lebenslangen Lernens, wobei dazu auch eine großzügige Freistellungspraxis vom Unterricht gehören muss. Ein Weiteres: Die „Konkurrenz“ von Kunst und Pädagogik setzt sich ja in der Berufspraxis häufig fort. Vielen Lehrkräften an Musikschulen fehlt angesichts der hohen Zeitbelastung durch Unterricht und Zusammenhangstätigkeiten der Raum für eigene künstlerische Arbeit. Hier würde die Stärkung künstlerischer Tätigkeit von Musikschullehrerinnen und -lehrern, z. B. durch Reduzierung von Stundendeputaten zugunsten künstlerischer Projekte, die Attraktivität des Berufs sicher deutlich erhöhen.

Die Reduzierung von Stundendeputaten kostet Geld. Lieber Herr Goeritz, wie kann es Musikschulleitungen gelingen, ihren Lehrenden ein erfülltes Berufsleben hinsichtlich der Doppelidentität als Pädagoge und Künstler zu ermöglichen, ohne Unterrichtsentgelte erhöhen zu müssen?
Stefan Goeritz: Zunächst einmal, indem wir sie nicht unnötig behindern. Damit meine ich starre Unterrichtsformen, die den letzten Rest an Energie kosten. Musikschulen und deren Organisatoren haben hauptsächlich die Aufgabe, Ressourcen zur Verfügung zu stellen, vornehmlich räumliche. Und die dort angestellten, studierten Musikerinnen und Musiker müssen zunehmend die Notwendigkeit erkennen, diese Räume und Instrumente auch zum Musizieren zu nutzen. Wenn wir die Idee verfolgen, dass wir in der Schule unterrichten, aber zu Hause musizieren, haben wir keine Chance, den aktuellen Anforderungen an Musikschularbeit zu genügen.

Geeignete Studienstrukturen schaffen

Lieber Herr Sobirey, was wäre von Seiten der Musikhochschulen zu tun, um die Zahl von Absolvierenden mit pädagogischer Qualifikation zu erhöhen?
Wolfhagen Sobirey: Wichtig ist, für ausreichend Studienplätze und geeignete Studienstrukturen zu sorgen. Grundsätzlich denke ich aber, dass es ein gemeinsames Studium braucht, das zunächst keine Trennung von künstlerischer und künstlerisch-pädagogischer Ausbildung vorsieht und die Bereiche in der zweiten Hälfte als zwei gleichwertige Schwerpunkte bereitstellt. Meines Erachtens brauchen die Absolvierenden beider Richtungen die Kunst und die Pädagogik. Dass sich Studierende der künstlerisch-pädagogischen Ausbildung ausreichend mit der Kunst beschäftigen sollten, versteht sich von selbst. Musiklehrkräfte, die die Begeisterung und Leidenschaft für Musik nicht in künstlerischer Praxis erfahren haben, werden ihre Schülerinnen und Schüler nicht nennenswert erreichen. Für Berufsmusiker stellen sich aber auch pädagogische Fragen, z. B. wie man das Publikum für sich und sein Programm interessieren kann. Zum anderen unterrichten viele auch. Daher sollten auch sie im Studium ergründen können, welche weiteren Motivationen neben der Lust am Musizieren noch in ihnen schlummern. Vielleicht entdecken sie Freude darin, anderen das Musizieren beizubringen.

Herr Geuen, in der vergangenen Ausgabe kritisiert Wolfhagen Sobirey die Studienstruktur als „Y-Modell“ (eine Eignungsprüfung für beide Abschlüsse) und sieht Vorteile im „H-Modell“ (zwei Eignungsprüfungen). Welche Studienstruktur ist Ihrer Meinung nach sinnvoll?
Geuen: Beide Modelle haben ihren Platz, allerdings nicht alternativ, sondern additiv. Der „Königsweg“ zum Beruf der Lehrerin oder des Lehrers an Musikschulen ist jedoch das grundständige IGP- oder EMP-Studium im Sinne des H-Modells als eigenständiger Studiengang. Hier können von vorneherein stilistische Vielfalt, Zielgruppenorientierung und ein mit der Berufspraxis verbundenes Professionswissen angelegt werden. Wegen der Gefahr der Überfrachtung des Studiums sollten aber unbedingt Wahloptionen eingebracht werden. Das Y-Modell hat seinen Wert vor allem im Hinblick auf das Ziel einer Lehrbefähigung im Hauptfach, wobei ein solches Modul inhaltlich über die fachdidaktische Fokussierung auf das eigene künstlerische Hauptfach hinausgehen muss. Idealerweise schaffen Hochschulen zwischen Künstlerischem Profil, Y- und H-Modell flexible Übergangsmöglichkeiten. Wesentlich erscheint mir, dass sich das Zusammengehen von Y- und H-Modell auch im Stellenplan einer Hochschule widerspiegeln muss, da der Beratungs- und Betreuungsaufwand für die Lehrenden erheblich ist.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2021.