Oberhaus, Lars

Nicht ganz mein Tempo!

Zur Inszenierung von Instrumentallehrkräften im Film

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 5/2016 , Seite 22

Ob “Die Feuerzangenbowle” (1944), “Sister Act” (1992), “Die Kinder des Monsieur Mathieu” (2004) oder “Wie im Himmel” (2004): Es finden sich zahlreiche Filme, die sich mit Musiklehrern beschäftigen und deren spezifische Persönlichkeiten herausstellen.

In der Musikpädagogik sind diese Filme dahingehend untersucht worden, inwiefern „Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen dargestellt wird“.2 Im Folgenden soll der Schwerpunkt auf die filmische Inszenierung von Instrumentallehrkräften gelegt werden. Die Auswahl der Filme erfolgt auf Basis unterschiedlicher Inszenierungsmuster. Im Fokus stehen dabei die Fragen, welche Lehrertypen sich finden, wie sie „konstruiert“ sind und ob sie sich mit der Unterrichtsrealität in Verbindung setzen lassen.

Kategorisierung von Lehrertypen

Alle Filme lassen sich als „Synthese zweier Spielfilmgenres“ auffassen: Lehrerfilme und Musikerfilme.3 Zu Ersteren gehören z. B. Der Blaue Engel (1930) oder Die Feuerzangenbowle, in denen oftmals schrullige Lehrertypen dargestellt werden. Musikerfilme thematisieren dagegen den Weg des musikalischen Genies von schwierigen biografischen Verhältnissen zu Ruhm und Anerkennung. Trotz ihrer Schicksalsschläge wirken alle Musiklehrer im Film durch ihr Charisma und werden so zu Helden und Führern.4 Sie sind Kraft der besonderen Beziehung auch „geborene Erzieher“, die „bildend in Seelen eingreifen“.5

Musikerfilme thematisieren den Weg des musikalischen Genies von schwierigen biografischen Verhältnissen zu Ruhm und Anerkennung.

Durch die explizite Hervorhebung des künstlerisch-leidenschaftlichen Musikers wird ein besonderes Schüler-Lehrer-Verhältnis aufgebaut, das auf einem „Pädagogischen Eros“ gründet. Der in der Reformpädagogik entstandene Begriff verweist auf den Lehrer als „Anwalt des Kindes“, wobei auf Seite der Lehrer Liebe, Autorität, Wille und Geduld gefordert wird. Die Schülerseite hingegen ist um Liebe, Vertrauen, Gehorsam, Dankbarkeit und Erziehungsbereitschaft bemüht. Oftmals basiert der Pädagogische Eros im Film auf einer unterschwelligen Sexualisierung der Beziehung, wenn z. B. ein engelsartig dargestellter Knabensopran in Die Kinder des Monsieur Mathieu, der kurz vor dem Stimmbruch (= Männlichkeit) steht und durch Unterrichtsstörungen auffällt, „einer Teufelsaustreibung durch Musik“ unterzogen wird.6 Aber auch in anderen Filmen stehen metaphorisch-sexualisierte Kommentare (Whiplash, 2014) oder Tabus im Zentrum, wenn Musiklehrende gleichgeschlechtliche Neigung haben (Vier Minuten, 2006) oder heimlich eine Affäre beginnen (Wie im Himmel).

Schulischer Kontext

In den Filmen School of Rock (2004), Die Kinder des Monsieur Mathieu, Mr. Holland’s Opus (1995) und Music of the Heart (1999) arbeiten „gescheiterte Existenzen“, die finanzielle Schwierigkeiten haben, als Hilfskraft in einer Schule bzw. in einem Internat.7 In Die Kinder des Monsieur Mathieu gelangt ein erfolgloser Musiker als Hilfslehrer an ein Internat. In Music of the Heart muss sich die Violinlehrerin Roberta Guaspari ihren Lebensunterhalt nach der Scheidung verdienen und unterrichtet schwer erziehbare Schüler.
Allerdings haben diese „beschädigten Individuen“ große musikalische Fähigkeiten und sind (ausgebildete) Musikerinnen und Musiker.8 Dabei wird auf eine Aufführung hingearbeitet, die durch die Expertise und Begeisterungsfähigkeit des Lehrers oder der Lehrerin auch ein großer Erfolg wird. Dieser Filmaufbau lässt sich auf ein Prinzip zurückführen, das sich in den 1950er Jahren abseits der Musik entwickelt hat und „fish-out-of-water-helping-kids“ genannt wird: Mit ungewöhn­lichen Methoden vermag ein neu eingestellter Lehrer die SchülerInnen zu begeistern, wird aber vom Kollegium missverstanden. Einer der bekanntesten Filme, der auf diesem Schema basiert, ist Der Club der toten Dichter (1989).9
Aus didaktischer Sicht ist der Musikunterricht der Hilfskräfte trotz der praktischen Ausrichtung eher konventionell und methodisch fantasiearm, da im Frontalunterricht gelehrt wird (Vorsingen, Erprobung technischer Ansprüche). Auffallend ist zudem ein autoritärer und zum Teil grenzüberschreitender Tonfall. Das strenge Auswahlverfahren von Monsieur Mathieu, der die Kinder einzeln vorsingen lässt, um einem ungeeigneten Schüler die ehrenvolle Aufgabe des Notenständers zu übergeben, scheint auf den ersten Blick amüsant, verdeutlicht aber auch ein bestimmtes Bild der Schüler, die eine Funk­tion einnehmen müssen und kategorisiert werden. Auch wenn sich das engagierte Verhalten der Geigenlehrerin Guaspari von dem ihres Kollegen, der seinen Schülern auf der Blockflöte die Tonbuchstaben vordiktiert, unterscheidet, gehören Gehorsam und Einschüchterung zu Grundelementen des Unterrichts:
„Ja, und wenn ihr genau das macht was ich euch sage, wenn ihr auf mich hört, dann werdet ihr in dem Konzert wundervoll klingen und dann werdet ihr unglaublich stolz auf euch sein. Und wenn ihr nicht auf mich hört, werdet ihr so schrecklich klingen, dass euren Eltern ganz schlecht wird. Vielleicht müssen sie sich übergeben. Ist mein Ernst.“ (17:36-17:43)

1 Einer der ersten Filme, die sich mit Musiklehrern auseinander gesetzt haben, dürfte They Shall Have Music (1939) sein, in dem der Stargeiger Jascha Heifetz die Hauptrolle übernahm und seine Biografie aufarbeitet.
2 Robert Lang: „Musiklehrer im Spielfilm“, in: Diskus­sion Musikpädagogik Nr. 47, 2010, S. 25; vgl. auch Lars Oberhaus: „Neues vom musikpädagogischen Eros. (Un)zeitgemäße Betrachtungen zur ‚Musiklehrerpersönlichkeit‘ anhand verschiedener Musiklehrerrollen im Film“, in: Zeitschrift für Kritische Musikpädagogik (ZfKM), 2007, http://home.arcor.de/zfkm/07-oberhaus1.pdf, S. 72-85 sowie Jürgen Vogt: „Monsieur Mathieu und seine Brüder. Anmerkungen zur Inszenierung von Musiklehrern im populären Film“, in: Lehr-Performances. Filmische Inszenierungen des Lehrens, hg. von ­Manuel Zahn und Karl-Josef Pazzini, Wiesbaden 2011, S. 127-143.
3 Lang, S. 29.
4 zum Charisma vgl. Vogt sowie dessen Rückgriff auf Max Weber (charismatische Herrschaft).
5 vgl. Eduard Spranger: Der geborene Erzieher, Heidelberg 1958.
6 Vogt, S. 140.
7 Lang, S. 29.
8 Vogt, S. 140.
9 ausführlich hierzu vgl. Lang.

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