Steffen, Wulf-Henning

Odysseus… tausend Inseln – ein Ziel

Musical für Jugendliche ab 11 Jahren, Gesamtausgabe mit Klavierpartitur und CD / Schülerausgabe mit Texten und Songs / CD

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Fidula, Boppard 2014
erschienen in: üben & musizieren 2/2015 , Seite 58

Der Kölner Dom als Bausatz, das Bild von Klee als Postkarte, Beethovens Sechste im Keyboard, Wagners Rheingold als Bilderbuch? Seien wir ehrlich, das kann doch nicht alles gewesen sein, was von großen Kulturleistungen übrig bleibt. Und dennoch, es ist sogar mit einem Klee als Postkarte Erkenntnisgewinn möglich. Archetypen können eben per se prägende Wirkung haben.
Mit Odysseus wurde wieder einmal ein Großwerk der Weltliteratur zurechtgelegt und für eine angenehme Verdauung durch Jugendliche aufbereitet in Form eines Musicals. Unzählbare Details und Figuren, Namen und Spielorte, Beziehungsgeflechte und dramatische Ereignisse auf vielen Ebenen, verpackt in sprunghaftem Plot hat das Homer zugeschriebene Original. Ein Musiktheater kann dies nicht verständlich und nachvollziehbar auf die Bühne bringen.
Umso beeindruckender: Wulf-Henning Steffen trifft für sein Stück kluge Entscheidungen. Er erfindet eine heutige jugendliche Jule, die alte Saga lesend, immer mal wieder Fragen stellend, den Text kommentierend, gar Einfluss nehmend durch Kontakt zu Athene, von Homer damals als göttliche Helferin zur Erreichung eines Happy Ends etabliert. Diese Schulfassung fokussiert richtig auf bühnentaugliche Einzelereignisse.
Menschen fressende Zyklopen werden in den Schlaf gesungen, die verführerische Kirke muss überstanden werden, die Unterwelt gibt eine Schwarzlichtszene ab, die mit Tönen zaubernden Sirenen sind aus musikalischen Gründen unerlässlich. So sieht der erste Akt in etwa aus. Penelope singt sehnsüchtig ihrem Mann Odysseus ein Wartelied, sie eröffnet den zweiten Akt. Ihr folgen Kalypso, in Odysseus verliebte Halbgöttin, die nicht loslassen will, Telemach, der seinen vermissten Vater nicht so früh wie andere als tot aufgeben will, das Stranden Odysseus bei den Phäaken, die, ihm ein neues Schiff zur Verfügung stellend, ans Ziel verhelfen. Das Rachegemetzel am Ende von Homers Original umgeht Steffen durch Einflussnahme Jules, die nicht will, dass es brutal endet. Raffiniert einfach.
Musikalisch ist alles wieder einmal populär und poppig. Dabei aber eben auch gut machbar, viele Melodien sind sehr klangschön, geschmackvoll so manche Harmonik und Alteration, Duolen etwa verleihen dem Gesang der Sirenen Betörendes. Etliche Lieder hebt vor allem die Zweistimmigkeit ins Prädikat „Besonders gelungen“. Die Besetzung erfordert vier Gesangssolisten und einen guten Chor. Die Einstudierung erleichtert eine CD. Lieferbare Notensatz-Dateiformate ermöglichen jeweilige Anpassung bei der Combo.
Die Mixtur ist verständlich, praktisch, echt gut und schön zu hören. Realisierbar und empfehlenswert lautet mein Urteil. Vielleicht bekommt ja jemand Lust auf das Original, will den Klee doch mal in echt sehen…
Gerhard Scherer