Herfurtner, Rudolf

Ohne Musik ist alles nichts

Geschichten von Bach bis Elvis Presley, mit CD

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Carl Hanser, München 2008
erschienen in: üben & musizieren 4/2008 , Seite 55

Erzählen, so ist bei Alfred Andersch zu lesen, ist von eminent wichtiger Bedeutung für unsere Vorstellung vom Menschsein: Narrare humanum est. Aber auch: Ohne Erzählen kein Humanum. Rudolf Herfurtner hat daraus eine Prämisse seiner pädagogisch ambitionierten Arbeiten abgeleitet, die im vorliegenden Band mit einer zweiten enggeführt wird. Es ist das aus eigener intensiver Erfahrung mit Musik erwachsene Postulat, jungen Menschen den Zugang zu bedeutenden Werken zu eröffnen und ihnen aus Geschichten über Musiker und deren Musiken die „eine, große Geschichte der Musik“ begreifbar zu machen.
Das geschieht in 16 Anläufen, die, jeweils von mottohaften Zitaten erlauchter Geister eingeleitet und durch Illustrationen von Hildegard Müller kurzweilig aufgelockert, den Parforceritt von der Knochenflöte zu Elvis Presley riskieren. Eine CD mit 22 Tonbeispielen und ein Glossar komplettieren das didaktische Angebot, das insgesamt einen beachtlichen Fundus aus mythischer und biblischer Welt, aus biografischen Daten, kompositorischen Fakten und bedenkenswerten Sentenzen über Musik präsentiert. Dass der Autor bisweilen dem furor biographicus zu erliegen scheint, wenn narrative Endlosschleifen den Titel des Buchs Ohne Musik ist alles nichts zu verifizieren drohen, sollte den Leser keineswegs entmutigen. Denn was da auf recht vergnügliche Weise und nur scheinbar ohne Konnex zu den Werken so lustvoll ausgebreitet wird, birgt immer auch einen Schlüssel für neue Zugänge zur klingenden Musik, so u. a. zu Monteverdis Orfeo und Händels Saul, Bachs Goldberg-Variationen, Schuberts Erlkönig, Cages Sonata No. 2 oder Cudrups That’s allright, Mama.
Alles Ladenhüter? Nun, mit dem leidigen Problem, wie im Wissbaren das Wissenswerte, in der Fülle des Richtigen das Wichtige auszumachen sei (nämlich das, worauf es eigentlich ankommt), haben sich alle herumzuschlagen, die sich einem so hochgesteckten Anspruch stellen wie Herfurtner. Kennt denn, wer diese „Geschichten“ gelesen hat, am Ende auch die „Geschichte der Musik“? Wohl kaum. Aber er hat an exemplarischen Beispielen etwas erfahren von dem Zauber, der seit je von der Musik ausgegangen ist und dem auch er sich öffnen kann.
Das Coverbild von Hildegard Müller könnte suggerieren, aufgeweckte Fünftklässler seien die Adressaten des Buchs. Plausibler erscheint allerdings eine Art von interfamiliärer Nutzung, nicht nach dem Vorbild der Idyllen von Ludwig Richter, wohl aber beflügelt von der altersresistenten Neugier eines Mehrgenerationenhauses: „Opa, das versteh’ ich nicht!“ „Na, dann gucken wir uns das mal zusammen an.“ Dass Herfurtners Geschichten indessen auch für Leute vom Fach eine Menge nützlicher Einsichten und Denkanstöße bereithalten, sei nicht nur am Rande, sondern mit allem Nachdruck vermerkt.
Peter Becker