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Jewanski, Jörg

Ohne soziale Absicherung

Überleben in Los Angeles: ein Gitarrenlehrer berichtet

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 6/2016 , Seite 38

Zwischen Hollywood und Venice Beach im sonnigen Kalifornien liegt inmitten des Großraums Los Angeles die Kleinstadt Culver City. Hier arbeitet Tim Hall als Gitarrenlehrer am Music Center und berichtet über die Schwierigkeiten, mit Unterrichten seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Bitte erzähle mir zunächst etwas über deine musikalische Ausbildung.
Da es in meiner Highschool keinen Musikunterricht gab, habe ich mir mit 15 Jahren das Gitarrespielen selbst beigebracht. Danach nahm ich Unterricht bei Frank Turziano, einem in den USA bekannten Jazzgitarristen. Anschließend habe ich Jazz am University of Cin­cinnati College Conservatory of Music studiert und dort einen Bachelor-Abschluss gemacht.

Wann hast du mit dem Unterrichten angefangen?
Meine Frau und ich sind direkt nach meinem Studium nach Los Angeles gezogen, wo ich sofort mit dem Unterrichten begonnen habe. Zuerst war es für mich nur eine Möglichkeit, Geld zu verdienen. Erst später bemerkte ich, dass es mir Spaß macht. Man benötigt viel Geduld, um Unterricht zu erteilen, und ich habe herausgefunden, dass ich davon eine ganze Menge habe.

Wie entstand der Kontakt mit dem Music Center in Culver City?
Nachdem meine Frau und ich nach Santa Monica umgezogen sind, eine Stadt an der Küste im Großraum Los Angeles und zehn Kilometer von Culver City entfernt, versuchte ich zuerst mein Glück am dortigen Music Center, das seit 1972 existiert. Dort wurde ich als Gitarrenlehrer angenommen. Später eröffnete derselbe Besitzer das Music Center in Culver City und suchte Lehrer. Somit begann ich, dort ebenfalls zu unterrichten.

Das Music Center verbindet einen Musikhandel mit einer Musikschule in einem Gebäude. Wie funktioniert diese Zusammen­arbeit?
Dieses Music Center ist typisch für Amerika, da die meisten Musikgeschäfte auch Unterricht anbieten. Unseres unterscheidet sich jedoch dadurch, dass das Geschäft sehr klein ist und wir uns mehr auf das Unterrichten spezialisiert haben. Wir sind etwa 35 Lehrkräfte, die sich auf neun Räume aufteilen. Der Hauptteil des Gebäudes besteht aus Unterrichtsräumen, jedoch gehören beide Einrichtungen demselben Besitzer. Es ist ganz praktisch: Im Geschäft kann man sich ein Inst­rument kaufen oder leihen, später gegebenenfalls reparieren lassen, Notenhefte können gekauft werden – und eine Tür weiter erhält man Unterricht.

Wie macht das Music Center auf sich aufmerksam?
Das Santa Monica Music Center mit seinem Standort in Culver City besteht schon sehr lange und ist darum auch bekannt. Die meisten erfahren von uns durch Hörensagen, aber es gibt natürlich eine Website mit allen nötigen Informationen samt einem Infovideo.

Welche Altersgruppen unterrichtest du und wie lange bleiben die Schülerinnen und Schüler an der Musikschule?
Zunächst: Es gibt keinen Aufnahmetest, jedoch besprechen wir mit dem Schüler, welche Vorstellungen er hat, damit wir für ihn den richtigen Lehrer finden. Ich hatte schon Schüler verschiedenen Alters, von sechs bis 70 Jahren war alles dabei. Es gibt bis auf wenige Ausnahmen keine Vorspiele, jedoch organisieren manchmal die Lehrkräfte kleine Auftritte vor den Eltern und Gästen. Ich habe schon Schüler erlebt, die nur einen Monat blieben, aber auch welche, die viele Jahre bei uns Unterricht nehmen. Ich schätze, der Durchschnitt liegt bei etwa drei Jahren.

Wie viele Unterrichtsstunden erhält man als Schüler?
Ein Schüler kann so viele Stunden haben, wie er will; oder, besser gesagt, wie er finanzieren kann, da jede Stunde einzeln gezahlt wird. Die meisten haben eine Stunde pro Woche, welche in der Regel als Einzelunterricht stattfindet, jedoch bieten wir auch mehrere Gruppenangebote an, die preiswerter sind als der Einzelunterricht. Wenn ein Schüler es nicht rechtzeitig zur Stunde schafft und auch nicht 24 Stunden vorher abgesagt hat, wird diese Stunde in Rechnung gestellt. Theoretisch kann der Schüler 52 Wochen pro Jahr Un­terricht bekommen. Das Music Center hat nur an einigen wenigen Feiertagen geschlossen: Weihnachten, Neujahr und Thanks­giving.

Damit sind wir beim Geld. Was kostet der Unterricht?
Der Schüler kann eine einzelne Stunde kaufen: Die kostet für 30 Minuten Unterricht 39,50 US-Dollar, das sind knapp 36 Euro. Es gibt auch ein Vierer-Ticket für 138 Dollar, dann kostet die einzelne Stunde nur noch 34,50 Dollar. Für 60 Minuten Unterricht zahlt der Schüler 79 Dollar, das Vierer-Ticket kostet 276 Dollar. Wir bieten auch 60-minütige home lessons an, bei denen ich den Schüler in seinem Zuhause unterrichte. Da kostet die Zeitstunde 79 Dollar, wird aber nur als Vierer-Ticket für 316 Dollar angeboten.

Das ist nicht wenig Geld. Welchen Vorteil bietet dem Schüler ein Music Center im Vergleich zum Privatlehrer?
Das Music Center ist ein rein privates Unternehmen, ohne Unterstützung der Stadt. Wir sind mit diesen Preisen wettbewerbsfähig, da ein Privatlehrer teurer ist. Und es gibt viele Familien, bei denen mehrere Kinder Instrumentalunterricht bekommen. Da ist es für die Eltern praktisch, den Unterricht an einem Music Center zu bündeln. Zudem bieten wir Workshops und Ensembles an.

Und was verdienst du?
Wir Lehrer sind alle selbstständig. Ich miete einen Raum im Music Center, dessen Miete aus den Gebühren der Schüler bezahlt wird. Der Betrag der bleibt, ist mein Gehalt. Es gibt keine bezahlten Ferien. Unser Gehalt bekommen wir alle zwei Wochen, wir haben jedoch keinerlei Versicherungen oder Renteneinzahlungen. Ich verdiene sehr wenig als Lehrer. Wenn ich Glück habe, komme ich bei sechs Tagen Unterricht auf 1000 Dollar im Monat, jedoch variiert das Gehalt von Monat zu Monat. Es gibt Zeiten, in denen man viel unterrichten kann, jedoch auch solche, in denen viele Schüler Pause machen oder sogar ganz aufhören.

Was ist, wenn du krank wirst?
Dann bekomme ich auch kein Geld und ein Kollege von mir unterrichtet den Schüler. Natürlich bekommt dann auch dieser Kollege das Stundenhonorar.

Wie kann man unter solchen Rahmenbedingungen in Los Angeles leben und eine Familie ernähren? Die Mieten hier sind sehr hoch: Man zahlt für eine Ein-Zimmer-Wohnung bis zu 1000 Dollar Miete. Ein kleines Haus mit Garten in einer netten Gegend kos­tet rund eine Million Dollar. Auch die übrigen Lebenshaltungskosten, z. B. für Lebensmittel, sind sehr hoch.
Wenn man Lehrer wird, beginnt man mit wenigen Schülern und bekommt erst nach und nach mehr dazu. Somit verdient man vor allem am Anfang sehr wenig. Auf Grund der hohen Lebenhaltungskosten in dieser Region ist es sehr schwierig, nur vom Unterrichten zu leben. Man bräuchte ein Startkapital und müsste zu Beginn noch bei der eigenen Familie wohnen. Die meisten Lehrkräfte, die ich kenne, verdienen noch Geld nebenbei.
Als ich mit dem Unterrichten begonnen habe, hatte ich einen Vollzeit-Bürojob. Diesen habe ich schnell wieder gekündigt, da ich ihn gehasst habe. So hatte ich die Möglichkeit, Vollzeit zu unterrichten. Nach einem Jahr ­Unterrichten haben meine Frau und ich jedoch beschlossen, dass ich mich zusätzlich noch um einen Teilzeitjob bewerben soll, um ein festes monatliches Gehalt zu bekommen. Wenn ich meine Frau nicht hätte, könnte ich als Gitarrenlehrer in Los Angeles nicht überleben, denn nur unsere beiden Gehälter zusammen ermöglichen es uns, in dieser überteuerten Stadt zu leben. Ich habe zwei Räume in unserem Haus in ein Tonstudio verwandelt, um so noch nebenbei Geld zu verdienen.

Wie viele Stunden unterrichtest du aktuell?
Mittlerweile sind wir aus Santa Monica weggezogen, um die Fahrzeit nach Culver City zu verkürzen. Früher habe ich sechs Tage pro Woche unterrichtet, heute sind es nur noch zwei. Momentan unterrichte ich nur noch ca. zehn Stunden pro Woche. Früher konnte ich mehr Stunden geben, jedoch ist das seit der Wirtschaftskrise von 2008 nicht mehr möglich, da die Zahl der Schüler drastisch gesunken ist. Ich hatte einige vor allem ältere Schü­ler, die mir sagten, dass sie sich den Unterricht nicht mehr leisten können und dass sie Prioritäten setzen müssen, wofür sie Geld ausgeben. Gitarre ist aber nach wie vor ein sehr beliebtes Instrument, für das sich auch Kinder interessieren. Seit der Krise jedoch habe ich das Gefühl, dass Menschen immer weniger dazu bereit sind, Geld für Musik auszugeben, da es als zu unwichtig angesehen wird.

Ist Instrumentallehrer ein angesehener Beruf in den USA, z. B. im Vergleich zu einem Highschool-Lehrer?
Lehrer an allgemein bildenden Schulen werden als wichtiger angesehen als ein Instrumentallehrer. Jedoch wird man von vielen geschätzt, wenn sie erfahren, dass man ein Inst­rument so gut beherrscht, dass man es sogar unterrichten kann.

Übersetzung: Teresa Winkler

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