Wüstehube, Bianka

Ohne Worte

Zu viel Reden im Instrumentalunterricht raubt wertvolle Zeit für das Musizieren

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 4/2009 , Seite 26

Ein Instrument unterrichten, ohne dabei zu reden – geht das denn ­überhaupt? Ja, sagt Bianka Wüstehube. – Ein Bericht über ein nicht ganz freiwilliges, aber umso erfolgreicheres Experiment.

Vor ein paar Monaten wachte ich auf und war sehr heiser. Innerhalb von einer Stunde war meine Stimme dann komplett weg. Dieser Zustand zog sich über eine ganze Woche hin, ansonsten ging es mir aber sehr gut. Wohl oder übel musste ich daran denken, meinen Geigenschülerinnen abzusagen, denn Unterricht ohne Stimme ist wohl nicht vorstellbar, ist es doch die Aufgabe einer Lehrerin, die Sachen zu erklären, damit der Schüler sie versteht. Die Schülerin begreift im Unterricht durch sprachliche Vermittlung, was sie tun soll. Das kann eben ohne Stimme nicht funktionieren und zudem müsste das im Instrumentalunterricht so bedeutende persön­liche Gespräch wegfallen, das Anselm Ernst sogar als ­eigenes Lernfeld definiert: „Der Dialog zwischen Lehrer und Schüler bildet den Rahmen und Bezugspunkt für das gesamte Unterrichtsgeschehen.“1
Aber andererseits ging es mir wirklich gut und ich dachte mir: „Warum soll ich eigentlich absagen? Ich habe zwar keine Stimme, aber mit meiner Geige und mit meiner Körpersprache kann ich mich sehr wohl verständigen.“ Ich nahm mir daher vor, aus der Not eine Tugend zu machen und die erzwungene verbale Enthaltsamkeit als Chance für das Ausprobieren neuer methodischer Möglichkeiten anzusehen. So bereitete ich mich auf einen Unterrichtsnachmittag ohne Worte vor. Den Unterricht mit Leo (9 Jahre) will ich hier näher beschreiben.
Am Anfang einer Instrumentalstunde steht eine Begrüßung und meist folgt ein kurzes persönliches Gespräch. Manchmal allerdings ist die vorherige Schülerin noch im Raum und man schickt, ohne sich körperlich direkt zuzuwenden, dem neuen Schüler ein schnelles „Komm schon mal rein, dauert nur noch einen kurzen Augenblick“ hinü­ber. Oder eine Schülerin ist spät dran und es ist, während man die Geige auspackt, nur noch Zeit für ein rasches „Hallo, ich stimme schon mal, geht’s gut?“ – Wenn man bedenkt, dass sich der größte Teil menschlicher Kommunikation, nämlich ca. zwei Drittel, durch die Körpersprache vollzieht, dann ist diese Art der schnellen, körpersprachlich unklaren Begrüßung natürlich suboptimal. Und tatsächlich erzählen mir manche Studierende, dass sie unter Begrüßungen dieser Art in ihrem Inst­rumentalunterricht durchaus gelitten haben: Sie kamen in den Unterrichtsraum und wurden teilweise nicht oder nur am Rande wahrgenommen. Sie waren unsicher, ob sie willkommen seien. Sie hatten das Gefühl, die Lehrerin würde die Vorgängerin eigentlich lieber unterrichten als sie, da sie sie ja warten ließ…

1 Anselm Ernst: Lehren und Lernen im Instrumental­unterricht, Mainz 1999, S. 45.

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