van der Linde, Mechthild

Oje – schon wieder Technik!

Von der Kunst der kreativen Verpackung im Cellounterricht der Mittelstufe

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 3/2012 , Seite 30

“Teach music through music” (Paul Rolland): Wir alle wollen, dass unsere SchülerInnen die Musik kennen und lieben lernen. Es liegt an uns Lehr­kräften, den Willen und die Bereit­schaft unserer SchülerInnen, über sich hinauszuwachsen, zu fördern. Der deutsche Sprachgebrauch drückt es richtig aus: Ich spiele Cello; nicht: Ich arbeite Cello. Alles, was wir am Cello tun, soll der Natur des Spielens entsprechen und zutiefst mit der Musik verbunden sein. Auch technisches Lernen steht immer unter der Prämisse, musikalische Erfahrungen verfügbar und kontrollierbar zu machen.

Samuel (12) kam zur ersten Unterrichtsstunde mit seinem Vater. Er sei ein musikalisch vielseitig interessierter Junge, aber seine Motivation am Cello stehe auf der Kippe, erzählte der Vater. Er habe keine Lust, seine Technik weiterzuentwickeln, er wolle „nur spielen“ und im Moment sei das Üben für die ganze Familie eine Last. Der Vater, selbst begeisterter Geiger, startete mit dem Lehrerwechsel einen Versuch, seinen Sohn zu motivieren und dessen Begabung zu entfalten. Wie oft habe ich diese Situation in meinen 30 Jahren Unterrichtspraxis erlebt. Nicht immer ist es so gut ausgegangen wie bei Samuel, aber ich habe versucht, mit meinen SchülerInnen dazuzulernen.
Zu Beginn des Unterrichts bei mir waren Samuels Finger gemütlich und nicht präzise, drückten häufig im ersten Fingergelenk durch und an schnelles, geläufiges Spiel war nicht zu denken. Zudem gefiel ihm selbst sein Celloton nicht. Sein rechter Arm war nicht in der Lage, den Bogen entspannt zu belasten; die Finger, vor allem der Daumen, pressten den Ton mit Muskelkraft heraus. Neun Monate später sitzt Samuel mit Begeisterung in einem Celloensemble für Fortgeschrittene. Seine Fortschritte sind enorm und die Eltern sind verblüfft, dass er jetzt sogar ab und zu freiwillig Geläufigkeitsübungen und Bogen­etüden übt. Die schnellen Läufe in Path von Apocalyptica haben ihn gereizt. Er wollte unbedingt mit den anderen mithalten und dieses Stück spielen können.
Auch das humoristische Scherzo von Prokofjew hat ihn begeistert. Zuvor war der Unterricht für ihn überwiegend geprägt von „langweiliger Klassik“. Das entsprach nicht seinem pubertären Bedürfnis nach starkem, motorisch geprägtem Ausdruck. So war es für Samuel ein Glücksfall, dass ich schon ein Trio gleichaltriger Jungen hatte, das nun zum Quartett wurde. Über die Ausweitung seines musikalischen Horizonts und die Auflösung der strengen Teilung in E- und U-Musik fand er den ursprünglichen Zugang zur Musik wieder.
Ich möchte im Folgenden jeweils eine Unterrichtsstunde aus dem Einzel- und Gruppenunterricht skizzieren. Dabei erhebt diese ­Darstellung keineswegs den Anspruch von instrumentaldidaktisch perfekten Stunden, sie soll nur einen Einblick in die Möglichkeiten der „kreativen Verpackung“ geben und zu eigenen Versuchen anregen.

Sportlicher Wettkampf im Einzelunterricht

Am Sonntag ist Samuel mit seiner Handballmannschaft Tabellenführer geworden. Am darauf folgenden Montag kommt er wie immer zum Unterricht und würde am liebsten ganz viel erzählen. Nach einem kurzen Gespräch integrieren wir das Thema Handball in den Unterricht und beginnen mit dem Perpetuum mobile aus dem zweiten Band der Suzuki-Celloschule. Wir beginnen in D-Dur; ich begleite ihn am Klavier. Dieses Stück verwendeten wir schon häufiger als Tonmaterial für Stricharten und Geläufigkeit. In der heutigen Situation scheint es mir ratsam, Samuel mit einer schnelleren Bewegung einzuspielen. Würde ich ihn jetzt dazu bringen wollen, als Erstes ruhige, ausdrucksvolle Musik zu spielen, könnte er sich nicht auf die dafür notwendigen Bewegungsabläufe konzentrieren und würde in seinen Gedanken immer wieder abschweifen. Die schnellere Bewegung fordert ihn mehr und führt dementsprechend zu mehr Aufmerksamkeit.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 3/2012.