Cassens, Lina / Helene Niggemeier / Nora-Elisabeth Peters
Pädagogische Zwischentöne
Welche Rolle spielen Hausaufgaben im Rahmen des Elementaren Musizierens mit inklusiven Gruppen?
In der inklusiven Elementaren Musikpädagogik wirkt der Begriff Hausaufgaben wie ein Fremdkörper. Denn hier geht es nicht um den zügigen Erwerb spieltechnisch-musikalischer Fertigkeiten auf einem Instrument, sondern um Teilhabe, musikalische Selbstermächtigung und ästhetische Freiheit. Gleichwohl stellt sich auch in diesem Kontext die Frage nach geeigneten Impulsen für die Zeit zwischen den Musikstunden, damit die einzelnen Einheiten nachhaltig wirksam werden.
Im Rahmen der Lehrpraxis-Gruppe MUSINC – music inclusive1 an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig wurde untersucht, wie Hausaufgaben im inklusiven Setting sinnvoll gestaltet werden können. Dazu wurden verschiedene Anregungen für das häusliche Umfeld erprobt, in Gruppeninterviews mit den Bezugspersonen der Kinder diskutiert und ausgewertet. Ziel dieser qualitativen Untersuchung war es auszuloten, welche Bedeutung solche Impulse für das Elementare Musizieren in inklusiven Gruppen haben und wie musikalische, soziale und kreative Lernprozesse über die wöchentliche Kurszeit hinaus angeregt und vertieft werden können.
Lernen und Üben sind in der Instrumental- und Gesangspädagogik, aber auch in der Schule zentrale Bestandteile musikalischer Bildungsprozesse. Dazu gehören auch Aufgaben für das eigenständige Üben zu Hause. Anselm Ernst beschreibt Üben als „eine natürliche Form des Lernens […]. Es bildet ein Gefüge von Erproben, Wiederholen, Beobachten, Selbstnachahmen, Verbessern.“2 Ulrich Mahlert betont, dass Üben ein „in Wiederholungen erfolgendes Lernen und Vervollkommnen einer praktischen Tätigkeit“3 sei, die zugleich über die reine Fertigkeitsbildung hinaus personale Entwicklung fördert. Beide Ansätze verdeutlichen den ganzheitlichen Charakter musikalischen Lernens und erklären, warum Hausaufgaben im Instrumental- und Gesangsunterricht als eigenständige didaktische Handlung gelten, die auch häufig mit spezifischen Artefakten und Handlungen wie dem Eintragen in ein Hausaufgabenheft einhergehen: Sie sollen das im Unterricht Erarbeitete vertiefen, sinnstiftend weiterführen und für die folgende Stunde anschlussfähig machen. Dies erscheint plausibel, da hier spezialisierte Verfeinerung und kontinuierliches Training im Vordergrund stehen.
In der Elementaren Musikpädagogik hingegen spielen Hausaufgaben kaum eine Rolle. Lernen vollzieht sich überwiegend in den Kursstunden, meist in spielerisch-explorativen Phasen, die von der Lehrperson strukturiert werden und auf künstlerische Verfeinerung abzielen. Für die inklusive Elementare Musikpraxis rücken zusätzlich die individuellen Bedürfnisse und Ressourcen der Lernenden explizit in den Fokus. Unsere Erfahrungen mit dem MUSINC-Kurs zeigen, dass ein zielgerichtetes, selbstorganisiertes häusliches Üben für viele Teilnehmende eine kaum bewältigbare Anforderung darstellt. Deshalb stellt sich die Frage, wie Hausaufgabenformate so transformiert und eingesetzt werden können, dass sie der Lebensrealität der Lernenden entsprechen. Vor diesem Hintergrund erscheint der Übebegriff von Michael Dartsch besonders anschlussfähig. Er versteht Üben als Prozess des Feilens und der künstlerischen Verfeinerung, der eingebettet ist in explorative Zugänge zum musikalischen Material und zum eigenen Körper.4
Spielerisch-experimentelle Formen des Übens sind zentral in der Elementaren Musikpraxis und grundsätzlich auch im häuslichen Umfeld möglich, erfordern jedoch gerade im inklusiven Kontext gezielte Impulse und Unterstützung durch Bezugspersonen. Da diese aber bewusst nicht am Leipziger Kursangebot teilnehmen, können insbesondere Kinder mit eingeschränkter Lautsprache oder entsprechend ihrer kognitiven Fertigkeiten ihre Erfahrungen oft nicht selbstständig vermitteln, was für Teilnehmende und Bezugspersonen eine große Herausforderung darstellt. Für den inklusiven Musikkurs ergibt sich daraus die pädagogische Notwendigkeit, Lernimpulse so zu gestalten, dass sie informelles Weiterlernen ermöglichen und gleichzeitig klare Strukturen zu schaffen, die das soziale Umfeld durch gezielte Anleitung in den Lernprozess einbinden.
Bildungspartnerschaften
Damit musikalische Lernprozesse auch zwischen den Kontaktzeiten weitergeführt werden können, müssen Bezugspersonen in der Lage sein, musikalisches Üben im Sinne des spielerisch-explorativen Umgangs mit Material aktiv zu begleiten. Nur dann können die im Unterricht gesetzten Impulse in den Familienalltag hineinwirken und langfristig neue musikalische Routinen anregen.
Hier setzt das Konzept der Bildungspartnerschaft an: Eltern oder weitere Bezugspersonen gestalten gemeinsam mit pädagogischen Fachkräften eine lernförderliche Umgebung, in der die Potenziale der Kinder entfaltet werden können. Besonders im inklusiven Kontext kommt solchen Strukturen eine Schlüsselrolle zu, da sie institutionelles Lernen mit dem häuslichen Alltag verbinden. Für den Instrumentalunterricht schlägt Mahlert verschiedene Formen der Elternkooperation vor – etwa offene Unterrichtsstunden, informelle Gespräche, Elternabende, Hospitationen oder Mitlernangebote.5 Diese Vorschläge lassen sich auf inklusive Gruppenformate in der Elementaren Musikpraxis übertragen, um Bezugspersonen mit der pädagogischen Arbeitsweise vertraut zu machen und die familiäre Einbettung musikalischer Lernprozesse zu stärken. Insbesondere eine gemeinsame pädagogisch-künstlerische Haltung kann dazu beitragen, häusliche Übeprozesse im Sinne künstlerischer Routinen tragfähig und entwicklungsförderlich zu gestalten.
Um diesen Ansatz zu vertiefen, sollen für MUSINC künftig parallel zur Kurszeit der Kinder elementare Musikkurse für die Bezugspersonen angeboten werden, damit sie die künstlerisch-explorativen Umgangsweisen selbst erfahren können. Dies ermöglicht den Bezugspersonen, die Logik des spielenden Übens selbst zu erleben und somit die Kinder noch gezielter zu begleiten. Durch gemeinsames Experimentieren, Improvisieren und Entdecken neuer Klänge werden nicht nur musikalische Kreativität und Selbstvertrauen gestärkt, sondern auch Räume für Austausch und Begegnung geschaffen.
1 MUSINC ist ein inklusiver Musik- und Tanzkurs am Fachbereich Elementare Musik- und Tanzpädagogik der Hochschule für Musik und Theater Leipzig. Das seit 2022 bestehende Lehrpraxisangebot richtet sich an Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung zwischen sechs und 18 Jahren und findet während der Semester wöchentlich statt. Im Zentrum stehen die individuelle Verfeinerung künstlerischer Fertigkeiten, Improvisation und die Gruppe als beziehungsorientierter Lernraum, in dem Differenz als Ressource für gemeinsames Lernen und ästhetische Teilhabe genutzt wird.
2 Ernst, Anselm: „Didaktik des Übens“, in: Mahlert, Ulrich (Hg.): Handbuch Üben. Grundlagen – Konzepte – Methoden, Wiesbaden 2006, S. 98-116, hier: S. 99.
3 Mahlert, Ulrich: „Üben aus instrumentalpädagogischer Perspektive“, in: Dartsch, Michael/Knigge, Jens/ Niessen, Anne/Platz, Frank/Stöger, Christian (Hg.): Handbuch Musikpädagogik: Grundlagen – Forschung – Diskurse, Münster 2018, S. 275-283.
4 Dartsch, Michael: „Üben“, in: Dartsch, Michael/Meyer, Claudia/Stiller, Barbara (Hg.): EMP kompakt. Kompendium der Elementaren Musikpädagogik, Teil 1 Lexikon, Regensburg 2020, S. 597-604, hier: S. 597.
5 Mahlert, Ulrich: „Kommunikation mit Eltern“, in: Busch, Barbara (Hg.): Grundwissen Instrumentalpädagogik. Ein Wegweiser für Studium und Beruf, Wiesbaden 22021, S. 207-210, hier: S. 208-210.
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