Waterhouse, Graham
Phantom Castle
für zwei Blockflöten
Ein einsames, dunkles Schloss an der schottischen Küste, eine sternenklare Nacht, die Uhr schlägt zwölf: Da schweben die Gespenster vom Turm, flattern langsam in den Schlosshof, wo sie sich eine wilde Jagd liefern. Das ist die Idee, die hinter Graham Waterhouses insgesamt etwa dreiminütigem Stück Phantom Castle steht und die zu vermitteln er den MusikerInnen aufträgt.
Keine wahnsinnig originelle Idee – gerade in der Blockflötenliteratur wimmelt es von Geistern –, die aber sicher dennoch bei vielen BlockflötenschülerInnen gut ankommen dürfte und in diesem Werk, das 2002 für den Wettbewerb „Jugend musiziert“ komponiert wurde, musikalisch treffend umgesetzt ist.
Allerdings dürfte das Stück gerade für die altersmäßig passende Klientel von den spieltechnischen Anforderungen her in vielen Fällen zu schwer sein; selbst wenn f”’ und g”’ auf der Sopranblockflöte erreicht werden, ist doch ein Presto (Viertel = 208) mit Achteln und Sechzehnteln keine sehr gemütliche Angelegenheit mehr.
Der erste Abschnitt des Stücks ist für Sopran- und Altblockflöte geschrieben; im zweiten und dritten Teil spielen dann zwei Sopranflöten, wobei die Ansprüche an beide im Großen und Ganzen ähnlich sind – einzig bleiben der zweiten Flöte einige g”’ erspart. Aufgrund der zahlreichen Accelerandi, Generalpausen und Tempowechsel verlangt das Stück in jedem Fall gründliches gemeinsames Studium der beiden FlötistInnen, gutes Zuhören und schnelle Reaktion.
Neben den üblichen dynamischen, agogischen und artikulatorischen Anweisungen wie Flatterzunge oder sputato werden auch Klänge mit Luftbeimischung oder von Luft zu Klang übergehende Entwicklungen verlangt, dazu Tonveränderungen durch Abdecken des Labiums der Flöte, Glissandi, freie Tonfolgen, Fußstampfen, Klatschen (nicht leicht mit einer Flöte in der Hand!) oder Singen (bei gleichzeitigem Spielen anderer Töne) – alles freilich eher unverbindliche Anregungen für eine Interpretation, die vom Vortragenden dann entsprechend seiner Vorstellungen und Möglichkeiten gestaltet werden soll, wie Waterhouse im Vorwort schreibt: „Die Musik, so erhoffe ich mir, soll die Fantasie der Musiker anregen, ihr eigenes geisterhaftes Treiben zu ersinnen.“
Rhythmisch ist das Gespensterschloss nicht allzu schwer zu meistern, nur stellt – wie erwähnt – das Tempo durchaus gewisse Anforderungen an die manuellen Fertigkeiten. Insofern – und auch im Hinblick auf gute Intonation, Atemtechnik, souveräne Umsetzung der Klangeffekte und überzeugende Interpretation – ist es sicherlich keine gute Wahl für AnfängerInnen, sondern eher für ein mittleres bis fortgeschrittenes Niveau zu empfehlen. Sind diese musikalisch-technischen Voraussetzungen jedoch gegeben, kann hier atmosphärisch sehr dichte Musik entstehen.
Andrea Braun