Rusbridger, Alan

Play it again

Ein Jahr zwischen Noten und Nachrichten

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Secession, Zürich 2015
erschienen in: üben & musizieren 4/2016 , Seite 52

Nach einer Darbietung von Chopins Ballade g-Moll op. 23 auf einem Klavierkurs für Amateure fasste Alan Rusbridger als Hobby-Pianist den Entschluss, dieses Werk binnen eines Jahres vorspielreif zu erlernen. Aus dem einen Jahr werden schließlich 16 Monate. In seinem Buch beschreibt er diesen langen Weg und die vielen Erfahrungen, die er beim mühevollen Erarbeiten der Ballade machte.
Rusbridger war damals Chef­redakteur des Guardian. Die Bemühung um die Chopin-Ballade fiel in die Zeit der WikiLeaks-Veröffentlichungen und der Abhöraffäre, die in England zu erheb­lichen politischen und medialen Turbulenzen führte. Rusbridger, rund um die Uhr in die aufreibende Zeitungsarbeit eingebunden und fortwährend mit der Dramatik der Ereignisse konfrontiert, sucht, so gut es geht, sich täglich 20 Minuten für die Chopin-Ballade freizuhalten. Oft klappt es nicht, manchmal gibt es etwas mehr Zeit, oft ist das Üben frustrierend, dann wieder beglückend und Hoffnung weckend.
Der Autor schreibt tagebuchartig. Schilderungen des hektischen Berufslebens und der kostbaren Freiräume wechseln einander ab. Immer wieder berichtet er, wie segensreich das Üben in sein Leben hineinwirkt, wie es ihm Ausgleich und neue Kraft schenkt. Das Buch ist ein reichhaltiger Beitrag zum großen Thema „Musik und Leben“.
Rusbridger arbeitet mit verschiedenen Lehrern. Mit großer Lernbegier nimmt er auf und schildert, was sie ihm pianistisch und musikalisch vermitteln. Zudem nutzt er sein journalistisches Renommee, um sich mit großen PianistInnen zu treffen und sie nach ihren Erfarungen mit der Chopin-Ballade zu befragen. So erfährt man viel Interessantes über interpretatorische Auffassungen, Arbeitsweisen und Ansichten zum Musikleben etwa von Alfred Brendel, Murray Perahia, Emmanuel Ax, Stephen Hough, Daniel Barenboim, Ronan O’Hora, Charles Rosen, Imogen Cooper u. a. Spannend protokolliert Rusbridger sein Üben und verschiedene Vorspiele der Ballade. Besonders fesselnd lesen sich die Beschreibungen der Vorgänge beim Vorspielen.
Am Ende des Buchs findet sich eine Reproduktion von Rusbridgers Notenexemplar der Chopin-Ballade, übersät mit Fingersätzen und Notizen – ein Dokument zielstrebigen und geduldigen „Dranbleibens“. Ergänzend zum Notentext liest man gesammelte Hinweise diverser Pianisten zu einzelnen Stellen. Der Autor versteht seine Bemühung „als Teil eines weiter gefassten Experimentes: Wie nutzt man seine Lebenszeit, wie kann man das Beste aus dem Status als Amateur machen und ihn genießen?“ Dazu legt Rusbridger ein ermutigendes Zeugnis ab.
Dem Lektorat sind ärgerliche Feh­ler entgangen: Da ist die Rede von Schuberts [!] Kinderszenen, von Schumanns Kanonischen Etüden, der Pianist und Editor Jan Ekier wird „Eiker“ geschrieben… Trotzdem: ein sehr gelungenes Buch!
Ulrich Mahlert

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